Das Ende der uns bekannten Welt?

Anmerkungen zum 11. September 2001

Szene I. Der Klimagipfel in Den Haag scheitert. US-Präsident Bush erklärt, dass die USA sich nicht weiter darum bemühen werden, irgend etwas in Richtung Umsetzung des Kyoto-Protokolls zu unternehmen. Während in Bonn – unter starkem Einfluss der EU-Delegation – eine gemeinsame Klimaschutzerklärung bei Enthaltung der USA verabschiedet wird, eine Erklärung, die auch als Dokument des neuen Multilateralismus gepriesen wird, führt die Polizeigewalt gegen ‘Globalisierungsgegner’ beim gleichzeitig stattfindenden G8-Gipfel in Genua zu einer neuen Debatte über den politischen Umgang mit der Globalisierung. Europas Politik scheint ein neues Selbstbewusstsein gefunden zu haben. Europa scheint sich über die europäische Rolle in der Welt sicherer geworden. Für einen kurzen Moment wirkt es so – ohne dass die EU zu einer neuen USA wird –, als würde die Welt des 21. Jahrhunderts von ganz anderen Konstellationen geprägt werden als die des vergangenen, amerikanischen Jahrhunderts. Noch wird darüber gestritten, wie viel Selbstvertrauen Europa haben darf, wo ein eigenständiges europäisches Modell der Weltgesellschaft in die multilaterale Verhandlungen prominent eingebracht werden kann, und wo der Respekt vor anderen Denkweisen dem Grenzen setzt. Zwischen den Zeilen ist zu spüren, wie aus dem Stolz auf das eigene Modell auch eine Abgrenzung vom unter Bush junior extremisierten amerikanischen wird. Vereinzelt wird vor der Gefahr eines neuen Antiamerikanismus gewarnt, dabei an die eigene linke Geschichte erinnert, zugleich immer wieder auch die transatlantische Solidarität betont. Dennoch: Die Weltpolitik scheint sich im Umbruch zu befinden.

Szene II. Der 11. September 2001: eine neue Dimension terroristischer Anschläge trifft die USA ins Herz und reißt die Welt mit sich. Die Welt hat sich verändert, heißt es kurz darauf. Für einige Tage werden die Ozeane zu einer unüberwindlichen Kluft für Flugzeuge – und die Medien zu einem globalen Einheitssender. Bush ruft den Krieg gegen das Böse aus, mancherorts wird Huntingtons These vom religiösen Clash of Civilizations wieder ausgegraben. Mitgefühl und Solidarität mit den amerikanischen Opfern werden umgedeutet in die uneingeschränkte Unterstützung des großen Bruders. Der NATO-Rat vermutet, dass der Bündnisfall eingetroffen ist. Es wird mobil gemacht zum Feldzug gegen das Böse, den Terrorismus, Bin Ladens Netzwerk, und mancherorts auch gegen den Islam und alle, die nicht dem Westen angehören. Das Meinungsklima macht es schwierig, differenzierter zu analysieren, zu fragen, wie es zu diesem Anschlag gekommen sein mag. Wer jetzt an Tote erinnert, an denen die USA – oder vielleicht, genauer gesagt: in vielen Fällen der Westen insgesamt – direkt oder indirekt schuldig geworden sind, macht sich bereits antiamerikanischer Umtriebe verdächtig, steht unter dem Verdacht, den Terrorakt rechtfertigen zu wollen. Vereinzelt sind Stimmen zu hören, die zu Solidarität und Besonnenheit aufrufen, die darauf hinweisen, dass eine Krieg gegen das Böse unter Führung der USA leicht zu einer globalisierten Wiederholung des Vietnamkriegs werden könnte. Die auf die Tatsache aufmerksam machen, dass Terrorismus in diesem Ausmaß ein neues Phänomen ist. Dass es darauf auch neue Antworten braucht, Antworten bis hin zu einer internationalen Gerichtsbarkeit, einer internationalen Polizei, die eben nicht die Weltpolizei unter Führung des stärksten Staates sein darf, um die Drahtzieher und Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen.

Szene III. Noch ist vieles in der Schwebe. Die Nachrichtenlage ist widersprüchlich, New York selbst als Zentrum der Berichterstattung wird zum blinden Fleck, wichtiger sind jetzt die Reaktionen, die Ankündigungen. Es wird davon gesprochen, Staaten auszuräuchern und zu beenden. Wo sonst über Geldbeträge im Millionenbereich heftig gestritten wird, werden jetzt Milliarden mobilisiert. Die Menschen fliehen aus Afghanistan. In der Bundesrepublik fordern die Konservativen, von der Mitte der SPD angefangen, dass auch wir hier jetzt keine Parteien mehr kennen dürften, sondern allesamt und unisono Amerikaner werden müssen. In den USA ist das Nachbeben des 11. Septembers schon deutlich zu spüren, die Überwachung des Internets beschlossene Sache, der erste tödliche Übergriff auf einen arabisch aussehenden Amerikaner hat stattgefunden. Jetzt vernünftig zu sein, nachzudenken, die im Sommerloch viel gepriesene ruhige Hand zu bewahren, – an den liberalen und demokratischen Tugenden der Bonner Republik festzuhalten: all das steht bereits unter dem Ruf, unsolidarisch mit den USA zu sein, den Opfern unrecht zu tun. Noch ist vieles in der Schwebe – wie lange noch? Und was wird vom neu gefundenen Bewusstsein dieser Welt übrig geblieben sein, vom Bewusstsein, auf einem Planeten zu leben, der gemeinsam und ohne starke Führer seine Probleme lösen muss – dann, wenn sich der Pulverdampf verzogen hat?


 
(c) Till Westermayer, 16. September 2001