Werbung ist böse - na und?
Oder: Auch Du kannst die Kulturindustrie schätzen und lieben lernen
Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass Werbung ein typisches Syndrom kapitalistischer Gesellschaften ist. Eigentlich könnte damit auch schon alles gesagt sein. Trotzdem haben diverse Autoren das auch noch einmal laut, deutlich und wohlformuliert ausgesprochen - nicht zuletzt Th. W. Adorno in seinem berühmt gewordenen Kulturindustrie-Text, in dem er schreibt: "Reklame ist heute ein negatives Prinzip, eine Sperrvorrichtung: alles, was nicht ihren Stempel an sich trägt, ist wirtschaftlich anrüchig." Und weiter führt er aus, wie die industriell hergestellte Massenkultur und die Reklamekunst eins werden und ineinander übergehen.
Adorno hat recht, mit beidem. Mehr noch als in den 40er Jahren, als er seinen Text geschrieben hat, verkauft sich heute ein Produkt nicht, wenn es nicht verkauft wird. Und mehr noch als je zuvor gehen die Ästhetik der Reklame und die Ästhetik der Popkultur ineinander über. Was Werbung nicht zuletzt zu einem Spiegelbild für gesellschaftliche Trends, aber auch politische Tendenzen der jeweiligen Epoche macht. Werbung nimmt alles auf, womit sich Aufmerksamkeit erzeugen lassen kann - angeblich zum Zweck der Verkaufssteigerung und in der Annahme, dass diese Aufmerksamkeit auf das beworbene Produkt oder die beworbene Marke abfärbt, tatsächlich wohl aber inzwischen fast schon zum Selbstzweck. Oder anders ausgedrückt: Werbung ist zu einem der Massenmedien geworden, die uns umgeben. Reklame und industrielle Massenkultur sind ununterscheidbar geworden, nicht nur, weil die Massenmedien die Prinzipien der Aufmerksamkeitslenkung von der Werbung übernommen haben, sondern auch, weil Werbung heute als Massenmedium wirkt. McDonalds reagiert in seiner Radiowerbung auf die BSE-Krise. CDU, Bundesumwelt-ministerium und Autoindustrie werben gleichzeitig mit dem Thema Ökosteuer und Benzinpreissteigerung. Und die kreativsten der Plakatwerber, die Tabakkonzerne, setzten vor der letzten Bundestagswahl allesamt darauf, auf das anstehende Großereignis in ihrer Werbung anzuspielen.
Werbung ist heute ein Massenmedium. Und die Massenmedien arbeiten mit den Methoden der Reklameindustrie (und lassen sich noch dazu davon finanzieren). Wer will, darf jetzt mit Adorno seinen Unmut darüber äußern, dass hier Verblendung statt Aufklärung betrieben wird, und darüber, dass Bedürfnisse erfüllt werden, die Menschen nicht haben. Darf einklagen, dass etwas getan werden muss. Darf daran erinnern, dass es im falschen kein richtiges Leben geben kann, dass es so nicht weitergehen kann, dass wir in einer Ära der all-umfassenden "Kolonisation der Lebenswelt" (Habermas) leben.
Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, das Fernziel einer ganz anderen Gesellschaft ganz bewusst für einen Moment aus den Augen zu verlieren, und sich mal auf die nähere Umgebung zu konzentrieren. Für einen Moment die Sondersteuer für schönere Produktgestaltung zu ignorieren. Und damit aufzuhören, Menschen als Geschöpfe zu betrachten, die so einfach zu manipulieren sind. Aus den Forschungen der Cultural Studies wissen wir, dass die Botschaft ihre Wirkung erst entfaltet, nachdem sie von einem Menschen interpretiert wurde - wie auch immer! Gegenkonzepte zum Kapitalismus sind nur denkbar, wenn dieser Interpretationsspielraum der eigenen Wirklichkeit - trotz aller strukturellen Zwänge und seltsamen Sozialisationen - jeder Beteiligten zugestanden wird. Nicht zuletzt als die Möglichkeit, eine auch Werbung einbeziehende Medienkompetenz zu entwickeln. Dann lässt sich allerdings auch festzustellen, dass die lieben ZuschauerInnen sich in Massenmedien und Werbung wieder finden, obwohl sie wissen, dass das nicht das wahre Leben ist. Vielleicht sogar ganz glücklich damit sind. Spaß daran haben. Gelungene Kampagnen genießen. Wer will, kann es ihnen gleich tun. Es ist nichts schlimmes daran, Daily Soaps toll zu finden. Oder Zigarettenwerbung als Fortsetzung der Satire mit anderen Mitteln zu betrachten.
Übrigens: Eine Marke, deren Werbung miserabel ist, kann auch durch Missachtung gestraft werden. Angeblich soll das helfen. In der kapitalistischen Lebenswelt gibt es keinen werbelosen Ort. Aber jeder Ort wird werbefrei, sobald die Werbung ignoriert wird. Menschen sind zu recht beachtlichten Prozessen der selektiven Informationsverarbeitung in der Lage: Nur wer sich manipulieren lassen will, wird manipuliert. Es ist sogar möglich, noch einen Schritt weiter in die Paradoxie hinein zu gehen: Und mit den Mitteln der Werbung gegen die Auswüchse des Kapitalismus kämpfen.
(c) Till Westermayer, Januar 2001. Veröffentlicht (mit Fussnoten) in: u-asta-info 666, 18.01.01, S. 5.