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Till Westermayer (1999): Werbung & Medien: Ein parasitäres Verhältnis? Hausarbeit am Institut für Soziologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. [http://www.westermayer.de/till/uni/hamame.htm].
Till Westermayer, 1999
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Institut für
Soziologie
Bettina Bretzinger: Einführung in die Mediensoziologie (SoSe 1998)
Till Westermayer
Kandelstr. 62
79194 Gundelfingen
till.we@3landbox.comlink.apc.org
Soziologie (HF), Informatik (NF), Psychologie (NF)
6./7. Semester
(c) 17. Februar 1999
Die geschmackvollste Fototapete der Welt. (Lucky-Strike-Plakatwerbung, 1998)
Manche Dinge sind so alltäglich, daß sie einem
eigentlich erst dann wirklich auffallen, wenn ganz bewußt ein
großer Teil der eigenen Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird.
Natürlich "weiß" jeder, daß wir täglich von großen
Mengen an Werbebotschaften umgeben sind. Beim Versuch, sich daran zu erinnern,
fällt einem dann vielleicht ein witziger Fernsehwerbespot oder eine
prägnante Plakatbotschaft ein. Den größten Teil der Werbung,
der wir im Laufe eines Tages begegnen, vergessen wir einfach wieder. Wenn wir
erneut daran vorbeikommen, kommt er uns zuerst bekannt vor - und wenn es
häufiger geschieht, daß wir einem bestimmten Werbespot etc.
begegnen, ist dieser schon in einem solch' hohem Maß Teil unserer
vertrauten Umwelt geworden, daß wir ihn einfach nicht mehr wahrnehmen.
Eine Methode, sich diesen Umstand zu verdeutlichen, besteht darin, einfach
jedes Vorkommen einer Werbebotschaft zu zählen - von den drei bis
fünf Rundfunkwerbespots, die rund um die Nachrichten des Radioweckers
angeordnet sind, über die Anzeigen im redaktionellen Umfeld der
Tageszeitung bis hin zu den Werbebotschaften auf Plakatwänden,
Litfaßsäulen, Straßenbahnen, Einkaufstaschen oder vielleicht
sogar dem Kugelschreiber, den wir benutzen. Diese Aufzählung kann
fortgesetzt werden bis zum Hinweis bei der Abendveranstaltung, daß sie
nur mit der freundlichen Unterstützung dieser oder jener bekannten Firma
stattfinden konnte. Natürlich kann und wird spätestens beim
Markenkugelschreiber der Streit ums Detail beginnen: Ist das kleine
unauffällige Signet LAMY überhaupt noch Werbung? Und wenn nicht, was
ist es dann?
Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß in einer informationsindustriellen
Gesellschaft so gut wie jeder Ort und so gut wie jede Zeit irgendwie mit
Werbebotschaften verknüpft ist. Wir befinden uns in einer Umwelt, in der
buchstäblich ständig mit mehr oder weniger raffinierten Methoden
"Kauf dies!" - "Das ist gut!" - "Wähl mich!" - "Jenes ist besser!" -
"Erfolgreich bist Du aber nur mit diesem!" geschrien, geflüstert oder
geschrieben wird.
Trotzdem fühlen wir uns nicht wirklich gestört. Werbebotschaften
werden größtenteils ignoriert, oder vielleicht auch ganz
zweckentfremdet in den eigenen Alltag übernommen. Keinesfalls reicht
jedenfalls ein beständiges "Kauf mich!" aus, um ein Produkt wirklich zu
kaufen. Die Zielgruppe der Werbung - wir alle in unserer Funktion als
KonsumentInnen - hat es erfolgreich geschafft, Werbung als Teil des Alltags
hinzunehmen, sich aber keineswegs einfach brav davon manipulieren zu lassen.
Umso verzweifelter scheint die Auseinandersetzung um die Resource
Aufmerksamkeit zu verlaufen, die für die werbetreibende Industrie der
erste Schritt zum Werbeerfolg ist. Exotische Werbestrategien bringen jedoch nur
noch exotischere Integrationsmaßnahmen in den Alltag mit sich. Oder aber
sie führen dazu, daß die KonsumentIn schlicht und einfach
verärgert ist und anfängt, mit der beworbenen Ware negative
Assoziationen zu verbinden und diese erst recht nicht kauft.
Soweit zu den alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit Werbung. In dieser
Arbeit soll es nun nicht darum gehen, neue Verkaufsstrategien zu entwickeln,
und es soll auch nicht darum gehen, diesen alltäglichen Umgang mit Werbung
im Sinne einer kulturellen Studie zu beschreiben. Statt dessen möchte ich
mich der Frage widmen, wie Werbung und Massenmedien miteinander
zusammenhängen, und welche Schlußfolgerungen sich aus diesem
Zusammenspiel ergeben. Meine Ausgangsthese ist dabei die, daß Werbung in
einem parasitären Verhältnis zum System der Massenmedien steht,
daß das Werbesystem quasi die vom Mediensystem konzentrierte
Aufmerksamkeit nutzt, um Werbebotschaften zu plazieren. In einem zweiten Sinne
parasitär verhält sich das Werbesystem, indem es "kreativ - kreative
Leistungen in anderen Systemen systemspezifisch transformiert, indem es sie auf
wirtschaftsspezifische Ziele hin funktionalisiert." (Schmidt 1995, S. 42). In
dieser Arbeit soll es um die erste Art parasitärer Ausnutzung des
Mediensystems gehen[1]. Vielleicht ist es ja
auch kein parasitäres Verhältnis - sondern ein symbiotisches? Um
diese Frage zu entscheiden, bzw. um sie näher zu beleuchten, ist es
notwendig, einen genaueren Blick sowohl auf die Massenmedien als auch auf die
Werbung zu werfen.
In der Gliederung der Arbeit schlägt sich dies wie folgt nieder: Zuerst
einmal werde ich auf das System der Massenmedien und auf seine Beschreibungen
eingehen (Kapitel 1). Darauf folgt eine Beschreibung des Werbesystems und
seiner Genese aus dem Geist des Freihandels (Kapitel 2). Das zentrale dritte
Kapitel widmet sich der Frage nach dem Verhältnis von Werbung und Medien.
Daraufhin wird der spezielle Bereich der nicht an eigenständige
Massenmedien gebundenen Werbung noch einmal etwas ausführlicher
erörtert, um abschließend zu einem zusammenfassenden Fazit zu kommen
(Kapitel 4).
Bevor ich mich der Beziehung zwischen Werbung und Medien widmen kann, soll zuerst einmal definiert werden, was unter Medien verstanden werden kann. Danach stellt sich die Frage, welche mediensoziologische Theorie sich am besten zur Annäherung an den Zusammenhang von Werbung und Medien eignet.
Unter
Medien sollen in dieser Arbeit in erster Linie - also immer dann, wenn eine
andere Verwendung nicht extra hervorgehoben wird - Massenmedien verstanden
werden[2]. Es stellt sich damit also die Frage,
was unter Massenmedien eigentlich zu verstehen ist. Eine Alltagsdefinition dazu
könnte in etwa so lauten: Zu den Massenmedien zählen alle Medien, die
ein großes Publikum erreichen - also primär Presse (Zeitungen,
Zeitschriften) und Rundfunk (Fernsehen, Radio), sekundär oder umstrittener
vielleicht auch die neuen elektronischen Medien wie das Internet und andere
Spezialfälle wie Kino, Bücher, usw.
Diese Alltagsdefinition ist merklich verschwommen und erscheint deswegen
für die soziologische Analyse eher als unbrauchbar. Ähnlich
oberflächlich bleibt Anthony Giddens in seinem Lehrbuch Soziologie.
Er definiert Massenmedien einfach als "Zeitungen, Zeitschriften, Film und
Fernsehen", schreibt dann weiter, daß diese oft mit Unterhaltung
assoziert würden und deshalb als Randerscheinung gelten, was aber
irreführend sei, da Massenkommunikationsmittel Anteil an vielen Aspekten
unserer sozialen Aktivitäten hätten. Weiter führt er aus,
"daß sie Zugangsmittel zu einem Wissen darstellen, von dem viele
gesellschaftliche Aktivitäten abhängen" und daß Massenmedien
Einfluß auf unsere Erfahrungen haben. (Giddens 1995, S. 473; Herv. i.
Orig.). Für die Zwecke dieser Arbeit nützlicher erscheint mir da eine
Definition, die das Lexikon zur Soziologie liefert:
Massenmedien sind hochkomplexe soziale und technische Systeme mit großem, kontinuierlichem Informationsausstoß, der "blind" auf ein breites Publikum gerichtet wird, dessen Reaktionen nur ungenügend und indirekt zurückgemeldet werden. Da die M. z.T. großen politischen und wirtschaftlichen Einluß nehmen, ist ihre Kontrolle ein besonderes Problem des demokratischen Rechtsstaates. (1995, S. 422)
Der Systembegriff läßt natürlich sofort an Niklas Luhmann denken, der etwas genauer spezifiziert, wie Massenmedien systemtheoretisch einzuordnen sind. Er rechnet Massenmedien zu den Kommunikationsmedien, und zwar zum Untertyp der Verbreitungsmedien (denen die Erfolgsmedien gegenüberstehen, d.h. insbesondere die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien wie Geld oder Macht). Verbreitungsmedien verbreiten Informationen und verwandeln dadurch Information in Redundanz. Auch mündliche Sprache und Schrift zählen für Luhmann zu den Verbreitungsmedien. Aber nicht alle (technischen) Verbreitungsmedien stellen auch Massenmedien dar. Das System der modernen Massenmedien unterscheidet sich von den älteren Verbreitungsmedien Sprache und Schrift insbesondere dadurch, daß soziale Redundanz in weit stärkerem Maße als bisher anonymisiert wird, d.h. daß niemand sicher sein kann, ob jemand eine bestimmte Information bereits erhalten hat. Durch diese Unsicherheit muß damit gerechnet werden, daß eine Information bereits bekannt ist und nicht erneut kommuniziert werden kann. "Jetzt entsteht ein Bedarf für laufend neue Informationen, den das System der Massenmedien befriedigt". Durch den selbsterzeugten Verlust von Informationen erzeugt sich das System der Massenmedien autopoietisch selbst. (Luhmann 1998, S. 202 f.). Diesen Begriff der Massenmedien als Funktionssystem bindet Luhmann dann an den Begriff der "öffentlichen Meinung":
Ein Medium in diesem Sinne [als Menge lose gekoppelter Elemente, T.W.] ist die »öffentliche Meinung« - gleichviel ob die Gesamtheit der Elemente psychisch als diffus verstreutes Aufmerksamkeitspotential verstanden wird, das durch Formenbildung temporär gebunden wird; oder sozial als Beiträge zu Themen der Kommunikation, wobei die Formenbildung im Bekanntsein (oder in der Unterstellbarkeit des Bekanntseins) liegt. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welches soziale System dieses Medium produziert oder reproduziert - die Gesellschaft selbst oder ein eigens dafür ausdifferenziertes Funktionssystem. Nur dieses Funktionssystem soll mit dem Begriff der Massenmedien bezeichnet werden. (Luhmann 1998, S. 1098, Herv. durch T.W.]
Luhmann
entscheidet sich schließlich dafür, dem Funktionssystem Massenmedien
seine Existenzberechtigung zu verleihen, und es als das System zu bezeichnen,
das mit dem Code Information / Nichtinformation im Medium "öffentliche
Meinung" operiert und so ständig neu das produziert, was die Gesellschaft
als Realität zur gesellschaftlichen Orientierung verwendet. (S. 1101 ff.)
Ähnlich wie Luhmann argumentieren eine Reihe weiterer Theoretiker, wobei
sich die Definitionsgrenzen, Funktionsbestimmungen, Codes etc. immer leicht
voneinander unterscheiden (vgl. dazu Görke/Kohring 1996).
Ganz anders definieren Wulf D. Hund und Bärbel Kirchhoff-Hund -
stellvertretend für eine ganze Epoche "materialistischer Soziologie" -
den Begriff der Massenmedien. Für sie ist er unmittelbar an "den
Übergang des Kapitalismus freier Konkurrenz zum Monopolkapitalismus"
(Hund/Kirchhoff-Hund 1980, S. 74) gekoppelt - und damit an das Aufkommen von
Werbung. Funktion der Massenmedien ist es bei Hund und Kirchhoff-Hund, im
Anzeigenteil den "Kampf um die gesellschaftlichen Individuen als Konsumenten"
und im redaktionellen Teil den "ideologischen Kampf um das Bewußtsein
der gesellschaftlichen Individuen" (S. 76) zu führen. Ursache für das
Auftauchen der Massenmedien sollen folgerichtig neben dem ökonomischen
Interesse des Kapitals vor allem die neuen Qualitäten der
Interessenorganisation der Arbeiterklasse sein, die nur auf diesem Weg der
massenmedialen Beeinflussung in Schach gehalten werden konnte.
In eine nicht identische, aber doch ähnliche Richtung gehen mit jeweils
unterschiedlichen Akzenten auch die Medientheorien von Theodor W. Adorno und
Max Horkheimer (vgl. Horkheimer/Adorno 1988) bzw. von Hans Magnus Enzensberger
(vgl. Enzensberger 1970). Massenmedien werden primär als Instrument der
Manipulation angesehen, die Frage, um die es geht, ist die Frage, wer wen
manipuliert. Während bei Enzensbergers Baukastentheorie die Technik der
Medien an sich neutral ist, es also nur darauf ankommt, in wessen Hand die
Massenmedien sich befinden, bringt Adorno auch Aspekte der Form hinein.
Enzensbergers 70er-Jahre-Medientheorie gipfelt in der Forderung, daß
jeder einzelne zum Manipulateur werden müsse, da dann die manipulative
Wirkung der Medien sich quasi neutralisiere. Fazit: Massenmedien in die
Hände der Massen, und alles wird gut. Adorno und Horkheimer dagegen
setzten einige Jahrzehnte zuvor im berühmt gewordenen
Kulturindustrie-Text (in dem sie, nebenbei bemerkt, auch auf den
Reklamecharakter der Kultur eingehen), auf eine weitaus pessimistischere
Variante: Nicht nur die Inhalte und Eigentumsverhältnisse, sondern auch
die Form massenmedialer Kommunikation im Sinne des Fernseh-Altars im Wohnzimmer
erzeugt sozial wirksame Effekte der Manipulation: Entmündigung und
Passivität, die Fortführung der Fließbandarbeit in der Freizeit
und damit die Unmöglichkeit des Hervorbringens eigener Gedanken.
Den Schwerpunkt ganz und gar auf formale Aspekte der Massenmedien legt Marshall
McLuhan, dessen Werke über dreißig Jahre nach ihrem Ersterscheinen
heute, in den 90er Jahren, wieder im Rampenlicht stehen. Medien, insbesondere
elektr(on)ische Medien, sind für ihn vor allem unter dem Aspekt der
Beschleunigung und der Ausweitung globaler Kontakte bedeutsam. Wichtiger als
der Inhalt eines Mediums ist McLuhan dessen "Wesensart" (McLuhan 1995, S. 23).
Das Medium selbst ist die Botschaft - sein Inhalt ist wiederum nur ein anderes
Medium, etwa das elektrische Licht, die Sprache, das abstrakte Muster eines
Denkvorganges. Auswirkungen auf die Gesellschaft hat das Medium durch seine
Form, und hier insbesondere in der spezifischen Form elektronischer Medien:
In den Jahrhunderten der Mechanisierung hatten wir unseren Körper in den Raum hinaus ausgeweitet. Heute, nach mehr als einem Jahrhundert der Technik der Elektrizität, haben wir sogar das Zentralnervensystem zu einem weltumspannenden Netz ausgeweitet und damit, soweit es unseren Planeten betrifft, Raum und Zeit aufgehoben. Rasch nähern wir uns der Endphase der Ausweitung des Menschen - der technischen Analogiedarstellung des Bewußtseins, mit der der schöpferische Erkenntnisprozeß kollektiv und korporativ auf die ganze menschliche Gesellschaft ausgeweitet wird, und zwar auf ziemlich dieselbe Weise, wie wir unsere Sinne und Nerven durch verschiedene Medien bereits ausgeweitet haben. (McLuhan 1995, S. 15)
Mit McLuhan von der Funktion der Ausdehnung des Menschen durch Medien ausgehend argumentiert auch Jean Baudrillard, für den ebenfalls die Form der Medien im Vordergrund steht. Während er im Reqiuem für die Medien (1978) noch für Strategien der Subversion zur Unterlaufung und Infragestellung der Form plädiert - und darin einen Weg sieht, die Ambivalenz der Botschaften wiederherzustellen und die Macht der Medien zu dekonstruieren -, hat er diese Strategie in Videowelt und fraktales Subjekt (1989) aufgegeben. Mit dem virtuellem Menschen, dessen Körper und Gehirn ausgelagert ist, der selbst genau wie die Maschinen zum Bildschirm geworden ist, erscheint Medienkritik, und sei es Medienkritik in Form symbolischer Subversion, vollständig sinnlos. Letztendlich geht es nur noch um die Frage, ob es noch Unterschiede zwischen Mensch und Maschine gibt, und wenn ja, worin diese liegen.
Dieser
bei weitem nicht vollständige par-force-Ritt über das Feld der
Medientheorien macht eines deutlich: Die Wahl einer geeigneten Theorie als
Instrument zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Werbung und Medien
fällt nicht eben leicht. Eine Grundentscheidung könnte darin liegen,
diejenigen Theorien weitestgehend zu ignorieren, die vor allem auf den Verdacht
setzen, daß Medien - von wem auch immer - bewußt zur Manipulation
bestimmter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden. Damit fallen alle hier
genannten inhaltsorientierten Theorien heraus, und es verbleiben Theorien, die
sich an der Form der Massenmedien orientieren. Von diesen scheinen mir sowohl
McLuhan als auch Baudrillard wenig zum Thema beitragen zu können[3]. Zu sehr ist bei beiden der analytische Blick
der Ekstase postmoderner Möglichkeitswelten gewichen.
Als - wenn auch unhandliche - Grundlage für das weitere Vorgehen bleibt
damit vor allem der systemtheoretische Ansatz Luhmanns übrig, der sich ja
nicht nur zu Massenmedien als solchen, sondern auch zur Werbung
geäußert hat - genauso wie einige weitere systemtheoretisch oder
konstruktivistisch orientierte Autoren. Nichtsdestotrotz mag es im Zusammenhang
mit der Verortung der Werbung weiterhin sinnvoll sein, einmal einen kritischen
Blick auf jene ältere Theorien zu wagen, die Werbung, Massenmedien und
Kapitalismus gleichsam in einen Topf werfen, und sie an geeigneter Stelle
hervorzuzerren. Besonders beim - im Rahmen dieser Arbeit so nicht
möglichen - Blick aufs Konkrete mag dies hilfreich sein.
Bewußt außer acht gelassen wurden die an den Inhalten der Medien
orientierten Theorien, die auf die so oder so hermeneutisch oder linguistisch
an das Thema herangehen. Zwar gibt es auch aus dieser Richtung sehr viel sowohl
zu Massenmedien als auch zur Werbung (etwa Cook 1992, Hartmann/Haubl 1992). Ich
hatte jedoch den Verdacht, damit bei der Klärung der Verhältnisse
zwischen Werbung und Medien nicht viel weiterzukommen, da dafür der Blick
auf die Strukturen dieser Verhältnisse doch vielversprechender erschien
als der zugegebenermaßen faszinierend schillernde Versuch, in das Reich
kollektiver Imaginationen hinabzutauchen und assoziative Aussagen zu finden.
Massenmedien
können jetzt definiert werden als ein gesellschaftliches Funktionssystem,
also als ein in der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft
entstandenes System. Nach Görke/Kohring (1996, S. 18f) legt Luhmann drei
Kriterien für die Grenzen dieses spezifische Funktionssystem fest: genannt
werden (1) technische Verbreitungsmedien (also Rundfunk, Fernsehen, Presse- und
Buchdruck) als Träger der Kommunikation, (2) die fehlende oder
eingeschränkte Möglichkeit einer Anwesenheit voraussetzenden
Interaktion zwischen SenderIn und EmpfängerIn sowie (3) der Code
Information / Nichtinformation als primärer Leitunterscheidung jeder
massenmedialer Kommunikation. Görke und Kohring beziehen sich hierbei auf
Luhmanns Die Realität der Massenmedien (1995); ergänzend
fügen sie hinzu, daß der Code Information / Nichtinformation
aufgrund des systemtheoretischen Informationsbegriffes ebensogut durch einen
Code neu / nicht neu ersetzt werden könnte[4]. Zusammenfassend geht es also um Kommunikationen mit der
Leitunterscheidung der Aktualität, die über technische
Verbreitungsmedien interaktionsfrei erfolgen.
Als exklusive Funktion der Massenmedien für die Gesellschaft[5] werden von verschiedenen Autoren verschiedene Funktionen
vorgeschlagen. Görke und Kohring (1996, S. 23ff.) nennen hier die
Thematisierungsfunktion, die Synchronisationsfunktion sowie die
Selbstbeobachtungsfunktion. Mit Thematisierungsfunktion ist dabei
gemeint, "durchsetzungsfähige Themen zur Anschlußkommunikation
herzustellen, bereitzustellen, anzunehmen und zu verarbeiten." (Rühl 1993,
S. 193; zit. nach. Görke/Kohring) bzw. mit Bernd Blöbaum, daß
zur öffentlichen Kommunikation Information aktuell selegiert und
vermittelt werden. Görke und Kohring kritisieren an dieser
Funktionsbestimmung, daß alle Funktionssysteme Themen bzw. Information
selegieren, daß nichts über den systemeigenen, die Themen
prägenden Code gesagt wird, und daß die Annahme einer
Vermittlungsfunktion (Aufnahme von Themen bzw. Informationen aus der Umwelt des
Systems und Weitergabe derselben) der Funktionsweise von Massenmedien
gravierend widerspricht oder doch zumindest weitestgehend an einen alten,
"objektiven" Medienbegriff angelehnt ist. Die bspw. von Peter Spangenberg und
Siegfried J. Schmidt vertretene Synchronisationsfunktion der
Massenmedien geht hingegen davon aus, daß es die Funktion der
Massenmedien ist, für die Gesellschaft festzulegen, was aktuell ist und so
zu einer Synchronisation der intersubjektiven Wirklichkeit und zu einem
Gefühl der Beteiligung beizutragen. Für Görke/Kohring kommt
dabei aber zu kurz, mit welchen Mechanismen die Massenmedien diese Funktion
erfüllen. Die Selbstbeobachtungsfunktion schließlich, wie sie
von Frank Marcinkowski vertreten wird, lehnt sich an eine frühere
Funktionsbeschreibungen Luhmanns an, nach der Massenkommunikation zur
Beteiligung aller an der gemeinsamen Realitätsfiktion und zur Erzeugung
dieser Fiktion dient (Luhmann 1991, S. 320; nach Görke/Kohring).
Marcinkowski leitet daraus eine Funktion der "Selbstbeobachtung der
Gesellschaft und Herstellung einer Selbstbeschreibung mittels
Veröffentlichung von Themen und darauf bezogenen Beiträgen" ab
(Marcinkowski 1993, S. 118; zit. nach Görke/Kohring).
Nicht-Öffentliches wird in Öffentliches transformiert, die
Gesellschaft wird mit Wirklichkeitsentwürfen konfrontiert, die
unterschiedlichen Perspektiven der unterschiedlichen Teilsysteme werden
zusammengeführt. Görke und Kohring teilen diese optimistische
Einschätzung, nach der die Massenmedien durch Selbstbeobachtung der
Gesellschaft zur gesellschaftlichen Intergration beitragen, nicht. Statt dessen
führen sie Luhmann ins Felde, der die abstrakte Funktion der
Selbstbeobachtung mit der Steigerung gesellschaftlicher Irritierbarkeit
verknüpft. "Massenmedien steigern [dadurch] die Fähigkeit der
Gesellschaft, Informationen zu erarbeiten. Oder genauer: Sie steigern die
Komplexität der Sinnzusammenhänge." (Luhmann 1995, S. 58). Statt
Sicherheit und Zusammengehörigkeit erzeugen Massenmedien also Unruhe,
Unsicherheit und Irritationen.
Wie schon erwähnt, bindet Luhmann die Massenmedien an das Medium
"öffentliche Meinung". Die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien
scheint damit letztendlich darin zu liegen, durch die ständige
Aktualisierung und Überarbeitung der öffentlichen Meinung die
gemeinsam geteilte Öffentlichkeit (im Sinne gemeinsam geteilter
Realität) zu aktualisieren und zu synchronisieren und so das
Orientierungsraster der Gesellschaft zu produzieren (Luhmann 1998, S. 1101
ff.). Gesellschaft wird beschrieben. Dadurch wird Realität konstruiert:
die Selbstbeobachtung des Gesellschaftssystems wird dirigiert (Luhmann 1995, S.
173).
Potentielle Kandidaten für die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien
sind damit wohl hinreichend beschrieben - es stellt sich jetzt die Frage nach
den Funktionen, die die Massenmedien für andere gesellschaftliche
Funktionssysteme erbringen, die Frage nach ihren Leistungen. Auf diese soll
hier nicht näher eingegangen werden: wir werden im Zusammenhang mit der
eigentliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Werbung und Medien wieder
darauf zurückkommen. Zu fragen ist nun vor allem, ob Werbung ein Teil des
Systems der Massenmedien ist (so beschreibt es Luhmann 1995), oder ob Werbung
Teil des Wirtschaftssystems ist (so beschreibt es Schmidt 1995), was dann die
Frage aufwirft, welche Leistungen die Massenmedien für dieses Teilsystem
der Wirtschaft erbringen und umgekehrt. Bevor diese Fragen näher
erörtert werden, wird es im nächsten Kapitel allerdings zuerst einmal
ganz isoliert um die Werbung "als solche" gehen, und darum, wie sie sich zu
ihrer heutigen Vielfalt hin entwickelt hat.
Werbung, allg. jede Tätigkeit, die Menschen beeinflussen, gewinnen, für best. Ziele aktivieren will ( Propaganda). Die wirtschaftl. W. (Reklame) umfaßt alle Maßnahmen zur Absatzförderung: Anzeigen in Zeitung und Zeitschrift, Werbebrief, Prospekt und Broschüre, Katalog und Flugblatt, Plakat, Schaufenster, Licht-, Film- und Radio-Reklame usw. [...] (Brockhaus 1950, S. 637)
Werbung verkörpert, historisch betrachtet, eine alte Erscheinung: Firmenzeichen, Schilder und Ausrufer (deren Tätigkeit das lateinische Werb "reclamare" charakterisiert) dienten bereits in den Anfängen der Handelswirtschaft dazu, Käufer auf ein Gut aufmerksam zu machen und dieses von anderen abzuheben. Heute begegnet die Werbung den Menschen in westlichen Industrieländern auf Schritt und Tritt, dem Fußballfan beispielsweise in Form der Trikot- und Bandenwerbung, dem Zeitungs- oder Zeitschriftenleser in Form von Inseraten, dem Spaziergänger in Form von Plakaten usw. (Kaiser 1980, S.1)
Werbung ist keine neue Erscheinung, auch dann nicht, wenn nur die wirtschaftliche Werbung[6] betrachtet wird. So erwähnt Michael Kriegeskorte (1995, S. 8ff.) die antiken römischen Praeco, die als öffentliche Ausrufer sowohl staatliche als auch private Termine wie etwa Auktionen oder die Ankunft bestimmter Händler ankündigten, also im Sinne der obigen Definition wirtschaftliche Werbung zur Absatzförderung betrieben. Diese Tradition ging im Mittelalter weitgehend verloren. Mit dem Buchdruck[7] schuf Johannes Gutenberg 1445 die technischen Voraussetzungen für das erneute Auftreten von Werbung im großen Stil: gedruckte Handzettel, die verteilt und plakatiert wurden. In den im 17. Jahrhundert aufkommenden Zeitungen und Zeitschriften erschienen Hinweise auf neue Bücher der Buchdrucker und -händler, die meist zugleich Zeitungsverleger waren. Bald kam privatwirtschaftliche Reklame aus anderen Branchen hinzu. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einem regelrechten Anzeigenboom, mit dem sich die anpreisende Werbung für ein detailgetreu dargestelltes Produkt zur stilisierten Werbung für Markenartikel und Marken entwickelte. Es entstanden Anzeigenagenturen; die Werbegestaltung und Gebrauchsgrafik professionalisierte sich. Zum Wachstum der Werbebranche trugen Entwicklungen wie die Farblithografie und später weitere, sich immer vervollkommendere Massendrucktechniken genauso bei wie 1855 die Idee der Plakatsäule von Litfaß (S. 32). Plakate und Reklameanschläge wurden so von bloßen Werbetexten zu einem künstlerisch gestalteten Medium und schließlich zu einem den Alltag umfassend durchdringenden Werbemittel. Die Stellung der Werbung zwischen Staat und Wirtschaft war Ende des 19. Jahrhunderts allerdings noch im Fluß. Exemplarisch dazu aus dem Abschnitt über "Das Plakatwesen" im Freiburger Architektenbuch:
"Im October 1893 wurde vom Stadrath beschlossen, dass das Plakatwesen mit 1. April 1894 in die Verwaltung der Stadt übergehen solle. Es wurde deshalb mit der Firma H. M. Poppen & Sohn hier, welche bisher das Plakatgeschäft inne hatte, wegen Uebernahme verhandelt und die Einrichtung sammt den Anschlagtafeln um den Kaufpreis von 2000 Mark übernommen -- unter Verzicht genannter Firma auf den Weiterbetrieb ihres ganzen Plakatgeschäftes. Ausser den Tafeln wurden 15 Plakatsäulen aufgestellt [...] (Thoma 1898)
Das Plakat als Medium ist aber
auch insofern interessant, als es - zumindest oberflächlich - eine gewisse
Eigenständigkeit der Werbung von den Massenmedien demonstriert, da Plakate
- sich von der an Nachrichten orientierten behördlichen Tradition der
Ausrufer und Aushänge distanzierend - eine rein werbende Funktion bekommen
haben, ohne im Zusammenhang mit der Verbreitung von Neuigkeiten und
Unterhaltung, also dem Geschäft der Medien, zu stehen. Auch das Freiburger
Beispiel paßt in diese Beschreibung, da hier die Stadt zwar Wert darauf
legte, das Plakatgeschäft als wirtschaftliche Tätigkeit zu
übernehmen und zu kontrollieren, dabei die werblichen Inhalte aber
offensichtlich völlig uninteressant waren. Dieser
Emanzipationsprozeß der Werbung scheint sich in einer weiteren
Ausdifferenzierung zwischen Werbegeschäft einerseits und Medienbranche
andererseits fortgesetzt zu haben.
So schildert James B. Twitchell in seinem Buch Adcult USA die
Entwicklung vom angeklebten poster zum freistehenden billboard,
und weist dann darauf hin, was moderne Werbung von Anschlägen und
Ausrufern unterscheidet:
With the advent of print and paste, signs moved to walls. From the late seventeenth century to the middle of the nineteenth the great cities of western Europe were nightly plastered over--sometimes twice a night--with what became known as posters. Seventeenth-century London streets were so thick with signs that Charles II proclaimed that "no sign shall be hung across the streets shutting out the air and light of the heavens." Although it was against the law, even Fleet Street Prison was posted. As the "post no bills" regulation took hold, posters became free-standing billboards. The "boards" grew so thick in America that people could barely see Niagara Falls through the forest of Coca-Cola and Mennen's Toilet Powder signs. [...] What distinguishes modern advertising is that it has jumped from the human voice and printed posters to anything that can carry it. Almost every physical object now carries advertising, almost every human environment is suffused with advertising [...] (Twitchell 1996, S. 55 f.; Herv. durch T.W.)
Schon an diesen kurzen Ausschnitten aus der Werbegeschichte wird deutlich, daß die Entwicklung der Massenmedien und der Fortschritt der Werbebranche zwar einerseits gewisse Parallelen aufweist, etwa wenn an das Wechselspiel von Zeitungen und Anzeigenbranche gedacht wird. Im Rückblick ist aber nicht immer klar zu erkennen, ob beispielsweise bestimmte Drucktechniken entwickelt wurden, um auf ein Bedürfnis zum Werbetreiben zu reagieren, oder ob andersherum Werbung sich auf diese Techniken gestürzt hat, sobald sie aufgetaucht sind. Es sieht so aus, als gäbe es einen sich gegenseitig antreibenden Kreislauf zwischen der Entwicklung der Massenmedien und der Werbung, der dazu geführt hat, daß immer neue, die Massen und ihre Aufmerksamkeit erreichenden Medientechniken entwickelt wurden. Andererseits ist es aber nicht so, daß das, was wir als Werbung betrachten, immer mit etwas verbunden sein muß, was wir per se als Massenmedium betrachten. Die Tatsache, daß anything that can carry it von Werbung befallen ist oder zumindest befallen werden kann, verstärkt die Dringlichkeit der schon erwähnten Fragen zur Positionierung der Werbung zwischen Massenmedien und Wirtschaftsystem.
Eine
Frage scheint jedenfalls in der Literatur recht deutlich beantwortet zu werden:
die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Aufkommen oder Vorhandensein von
Werbung und einem marktorientierten Produktionssystem - mag es auch nicht
unbedingt der Hundsche Monopolkapitalismus sein. In marxistischer Tradition
stehend erklärt Wolfgang Fritz Haug (1980, S. 72ff.) diesen Prozeß
mit dem Aufkommen des Fernhandels.[8] Der
Fernhandel kann nur entstehen, wo es Waren gibt, die örtlich nicht
produziert werden können, aber einen starken Reiz ausüben. Haug nennt
Tee, Kaffee, fremde Gewürze als Beispiele. Die Waren des Fernhandelns
machen - teilweise regelrecht im Wortsinn, teilweise auf eine eher
metaphorische Art - abhängig. "Die starken Reize reißen vorhandene
Bedürfnisstrukturen auf und erzeugen gebieterische Bedürfnisse nach
diesen neuen Waren." (S. 75). Diese starken sinnlichen Reize machen den
(unproduktiven, rein konsumtiven) Gebrauchswert dieser Produkte aus.
Funktionsträger der Warenästhetik sind diese Reize selbst.
"Ökonomisch-ideologische Interessengemeinschaften stehen hinter diesem
Kampf [um die Ausbreitung der neuen Waren, T.W.], finanzieren ihn, nehmen die
ihnen eigenen Medien in Dienst: Predigt, Medizin, die schönen
Künste." (S. 76). Gewissermaßen tauchen hier zum ersten Mal Waren
auf, um die geworben werden muß, bei denen der Warenkörper selbst
alleine nicht aussagekräftig genug ist, wie es noch bei den
mittelalterlichen Marktwaren und Handwerksprodukten der Fall war. Erst das
durch "Werbung" erzeugte Wissen um die sinnlichen Reize der
Kolonialwaren macht diese attraktiv, interessant und damit handelbar.
Mit dem Aufkommen industrieller Massenproduktion vervielfacht sich diese
Problematik. Waren werden nicht mehr nach den individuellen, direkten
Bedürfnissen einzelner gefertigt, wie dies im Handwerk der Fall war,
sondern für einen anonymen Massenmarkt. Der direkte Kontakt zwischen
KonsumentIn und ProduzentIn fällt in fast allen Fällen weg, an seine
Stelle tritt der indirekte, vermittelte[9]
Kontakt über die Produktgestaltung und die Fähigkeiten des Handelns,
für Waren zu werben:
Die kapitalistische Massenware "wartet" auf einen Käufer; sie ist "ausgestellt" und "dekoriert". Da sie unbestellt produziert wurde, ist es die Funktion ihrer Gestaltung, die nachträgliche Bestellung hervorzurufen. Gestaltung (Design) und Oberfläche werden zu Funktionsträgern des Gebrauchswertversprechens. (Haug 1980, S. 80)
Es ist aber nicht nur die pseudo-indivuelle Gestaltung der Oberfläche der Massenware bzw. deren Verpackung, die die nun notwendigen Kaufanreize schaffen muß. Wichtig wird jetzt das Verkaufsgespräch im Einzelhandel und durch angestellte VerkäuferInnen (S. 96ff.). Diese direkte Form der Werbung für die Produkte einer industriellen Gesellschaft, die ihren Höhepunkt in der ästhetisch-kunstvollen Gestaltung der Schaufensterauslagen findet, die zu Ausflügen in imaginäre Welten eines das-alles-haben-können einladen, wird schließlich übertrumpft und abgelöst von der Produktwerbung, wie wir sie heute kennen. Was für einzelne Produkte vielleicht auch schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts vorhanden war, wird mit dem Aufkommen von Markenartikeln massenhaft. Das Verhältnis von Industrie und Handel verändert sich weitgehend.
Sobald sich erst einmal der "Markenartikel" entwickelt, löst sich diese komplexe ästhetische Gestaltung [der Verpackung, T.W.] vollends von der Ware ab und erscheint als Inserat in den Illustrierten Zeitungen und als Plakat an den Litfaßsäulen. [...] Die Entwicklung des Films und schließlich des Fernsehens bringt die situative Imagination der Waren in Bewegung. Über die hörspielartige Inszenierung der Ware entwickelt sich die Werbung schließlich zum Fernsehspot, wie wir ihn heute kennen. (Haug 1980, S.113)
Haug faßt diese Entwicklung wie folgt zusammen: "Der Direktkontakt des Industriekapitals mit den Käufern kann aber in der Regel nur in ästhetisch-abstraktiver Form erfolgen. Dies ist heute der Hauptgehalt der 'Werbung'." (S. 118). Anders ausgedrückt stellt Haug die These auf, daß mit dem räumlichen und zeitlichen Auseinanderfallen von Konsumption und Produktion Waren ihr Vermögen verloren haben, für sich selbst zu sprechen. Handel und später industrielle Massenproduktion konnten nur funktionieren, wenn sie sich im Zweifelsfall ihre Märkte selbst schaffen konnten, die Bedürfnisse nach den von ihnen gehandelten oder produzierten Waren selber auslösen konnten. Dazu wurde die Entwicklung einer spezifischen Form der Kommunikation hin zu den zukünftigen KonsumentInnen notwendig, die in der Werbung gefunden wurde. Mit dem Aufbau von Marken und der Abstrahierung weg von konkreten Produkten entwickelte Werbung sich zu einem umfassenden System der selektiven Information, daß sich alle bestehenden Massenmedien zu nutze machte und eigene Verbreitungsmedien etablierte.
Wolfgang
Fritz Haug ist nicht der einzige, der sich mit der Entstehungsgeschichte der
Werbung befaßt hat. Clemens Wischermann versucht, viele dieser
unterschiedlichen Erklärungsansätze zur Genese der Werbung
zusammenzufassen. Er stellt zwei unterschiedliche Konzeptionen vor, denen
gemeinsam ist, daß sie die Werbung des 19. und 20. Jahrhunderts als die
Weiterentwicklung längst vorhandener Elemente in der Nutzung durch
bestimmte gesellschaftliche Systeme einordnen. Der eine dieser Ansätze
geht davon aus, daß Werbung "in der Kontinuität der
wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung [steht]. Sie hat einen Anfang nur in
Form des Durchbruchs zu ihrer modernen Gestalt, die sich als Weiterentwicklung
und Ausdifferenzierung darstellt." (Wischermann 1995, S. 12). In dieser
Perspektive ist Werbung ein der Ökonomie untergeordnetes Instrument, das
auf ökonomische Entscheidungen reagiert und der ökonomischen
Entwicklung folgt.
Den zweiten Ansatz stellt Wischermann unter die Überschrift "Werbung und
Konsumgesellschaft". Hier wird der Durchbruch der Werbung - wie auch bei Haug -
vor allem an die industrielle Massenproduktionsweise und den darauf aufbauenden
Massenkonsum gekoppelt. "Als zentrale Aufgabe der Wirtschaftswerbung erscheint
hier die Stimulierung des Konsums." (S. 13). Je nach Standpunkt erscheint
Werbung damit als kritisch zu beurteilende Manipulation an den KonsumentInnen
oder als positiv zu sehende Grundlage der modernen Wirtschaft, die erst
aufgrund von breiten Konsumanreizen funktionieren kann.
Wischermann stellt diesen beiden Konzeptionsrahmen einen dritten entgegen. Er
begründet dies damit, daß beide Ansätze, so unterschiedlich sie
auch sein mögen, Werbung letztendlich nur als ein sekundäres
Phänomen sehen. Demgegenüber stellt er die Möglichkeit heraus,
Werbung als etwas Eigenständiges zu sehen:
"Hier wird die These aufgestellt, daß 'consumerism', also Stil und Kultur einer Konsumgesellschaft, in der Werbung ausgebildet und dargestellt worden ist, schon bevor es einen gesellschaftlichen Übergang in eine Konsumgesellschaft mit Massenbasis überhaupt gegeben habe. [...] [Demzufolge, T.W.] war die Werbung also kein Zivilisationsnachfolger, sondern kreierte eine eigene neue Orientierungswelt, eine neue 'Ordnung der Dinge'. (Wischermann 1995, S. 13)
Diese neue Ordnung der Dinge, die von der Werbung hervorgebracht wurde, kann wiederum einerseits eher kritisch gesehen werden als die kulturelle Manifestation des Kapitalismus, die aus toten Waren belebte Dinge gemacht hat. Die Dinge sprechen nun in ihrer eigenen Sprache für sich. Sie "besetzen" die Welt in einer Sprache, die an die Warenwelt und deren Mechanismen gekoppelt ist, und verknüpfen uns so unaufhörlich mit dem Kapitalismus. Positiver gesehen werden kann diese eigene Ordnung der Dinge insofern, als Werbung zum Geburtshelfer einer neuen, visuell geprägten Kultur wurde. Jenseits des bloßen Ringes um Aufmerksamkeit hat Werbung so den Alltag mit der Möglichkeit der Ästhetisierung und Stilisierung durchdrungen, ein bildliches Bewußtsein der Moderne geschaffen. (S. 14).
Aus diesen Ansätzen heraus, die Werbung nicht als Fortführung von etwas bereits Vorhandenem, sondern als eine mit der Moderne entstandene Diskontinuität sehen, stellt Wischermann ein Drei-Phasen-Modell der "Kultur der Werbung im 19. und 20. Jahrhundert" auf. Die erste Phase, die er als "Geburtsphase" der Werbung bezeichnet, sieht er im Zeitraum von 1850-1890. Mit der Londoner Weltausstellung verselbständigt sich die Warenwelt, aus anpreisender Reklame wird Werbung im Sinne einer lebensweltlich-kulturellen Repräsentation. In der zweiten Phase, die Wischermann bis etwa 1960 ansiedelt, wird die neue Ästhetik der Warenwelt von der sich entwickelnden Ökonomie der Konsumgesellschaft eingeholt. Werbung entwickelte sich in dieser Zeit weg von der schlichten Werbebotschaft und dem konsumentionellen Vorbildcharakter hin zur Massenkultur. Die Werbung dieser Zeit entsprach den Konsumptionsmustern und Lebensstandards der "populären Kultur" (Pierre Bourdieu); im Vordergrund stand die Ästhetik des Inhalts. Die dritte Phase schließlich, die für Wischermann in den späten 60er beginnt, steht unter dem Signet der Überflußgesellschaft. Der Konflikt zwischen legitimer und populärer Kultur, zwischen Ästhetik des Inhalts und Ästhetik der Form wird aufgelöst zugunsten einer Ästhetik des Erlebnisses, zugunsten der Erlebnisgesellschaft, wie sie Schulze beschrieben hat. Werbung wirbt jetzt nicht mehr für konkret identifzierbare Produkte, sondern nimmt, vorangetrieben durch visuell dominierte, elektronische Medien eine zentrale Rolle ein. Werbung gelingt schließlich die Akzeptanz als Teil der legitimen Kultur. Bilder aus der Werbung werden "zum weltweit universalen Code beim Eintritt in eine westliche 'visuelle Kultur' der Gegenwart" (S. 19). (Wischermann 1995, S. 14-19).
Meiner Meinung nach lassen sich die Ansätze Haugs und Wischermanns unter einen Hut bringen. Dies ist dann möglich, wenn davon ausgegangen wird, daß Werbung durchaus aus den Bedürfnissen einer kapitalistischen Produktionsweise heraus entstanden ist. Werbung hätte sich demnach zwar irgendwann von der "reinen Reklame" abgekoppelt, wäre zum eigenständigen System geworden, daß auch eigenständige visuelle Codes und eine eigene Ästhetik entwickelt hat, die nicht mehr unmittelbar mit dem Wirtschaftlichen zusammenhing, wäre vielleicht sogar in dieser Form schon vorhanden gewesen, bevor sie von der Wirtschaft katalysiert und vielfach expandiert worden wäre, - nichtsdestotrotz wäre es zu dieser Entwicklung aber nicht gekommen, wenn nicht die kapitalistische Produktionsweise ein Bedürfnis zur Akkumulierung von Aufmerksamkeit unter den Bedingungen der Konkurrenz erzeugt hätte, wenn nicht der Fernhandel die Notwendigkeit zur Erzeugung neuer Bedürfnisse für neue Produkte über geographisch weit entfernte Strecken vorgefunden hätte. In diesem Sinne wäre es durchaus möglich, Werbung sowohl als eigenständigen Bestandteil der aktuellen Kultur zu sehen, als auch als ein mehr oder weniger stark im Wirtschaftlichen verankertes Bezugsfeld. Je nach Fragestellung müsste der Blick dann stärker auf den einen oder anderen Akzent gerichtet werden.
Virulent
wird das soeben erörterte Problem dann, wenn es darum geht, Werbung als
gesellschaftliches Teilsystem zu konzipieren. Wie erwähnt, gibt es hier
durchaus unterschiedliche Positionen. Während die einen die Werbung der
Wirtschaft unterschieben wollen, sehen die anderen sie als Teil der
Massenmedien. Hier soll es jetzt zunächst noch einmal darum gehen,
nachzuvollziehen, wie Werbung als Teilsystem der Wirtschaft konzipiert werden
kann. Aus systemtheoretischer Sicht hat der Kommunikationswissenschaftler
Siegfried J. Schmidt diesen Ansatz ausgearbeitet.
Vor der Werbung der Wirtschaft der Gesellschaft steht zunächst einmal die
Wirtschaft der Gesellschaft selbst. Luhmann konzeptualisiert nach Schmidt die
Wirtschaft als ein selbstorganisierendes Sozialsystem, "das im späten 18.
Jahrhundert im Zuge der funktionalen Differenzierung westeuropäischer
Gesellschaften in der spezifischen Form der finanzkapitalistischen Wirtschaft
entstanden ist." (Schmidt 1995, S. 26). Wirtschaft wird dabei als die
Gesamtheit derjenigen Operationen verstanden, in die direkt oder indirekt die
Zahlung von Geld involviert ist. Das Teilsystem Wirtschaft konzentriert sich
auf das wirtschaftseigene Kommunikationsmedium Geld und auf damit verbundene
Zahlungsereignisse. Zahlungen sind das Letztelement des Wirtschaftssystems. Da
Zahlungen / Nichtzahlungen sich wiederum auf Zahlungen / Nichtzahlungen
beziehen, erreicht das Wirtschaftssystem Selbstreferentialität und
Dynamik. Dabei orientieren sich Wirtschaftssysteme an Knappheiten, d.h. in
diesem Fall an der Wahrnehmung von Beschränkungen, an die soziale
Regulationen anschließen können. Mit dieser Definition von Knappheit
als der sozialen Bedingung, um die Befriedigung zukünftiger
Bedürfnisse als ein Problem zu sehen, hängt auch die Definition der
Funktion[10] des
Wirtschaftssystems zusammen: "die gesicherte Vertagung von
Bedürfnisbefriedigung" (S. 29). Von dieser Funktion ist die Leistung
des Wirtschaftssystems für andere Sozialsysteme zu unterscheiden.
Diese Leistung ist für Luhmann in der Befriedigung von Bedürfnissen
gegeben. (S. 27-29).
Schmidt beschreibt nun die Werbewirtschaft als einen Teilbereich der
Gesellschaft, der sich als Subsystem des Wirtschaftssystems ausdifferenziert
hat. Die Entstehung eines Teilsystems Werbung ist dabei sowohl an das Aufkommen
eines kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystems seit dem Ende des 18.
Jahrhunderts gekoppelt wie an die Entwicklung der Massenmedien zur selben Zeit.
Die Rolle, die das Wirtschaftssystem dabei spielt, entspricht dem, was Haug
beschrieben hat. Schmidt faßt es nur in andere Begriffe:
Zudem orientiert sich die Güterproduktion nicht mehr primär an Subsistenzbedürfnissen, sondern an - zumindest teilweise - im und vom Wirtschaftssystem selbst erzeugten Bedürfnissen, um Zahlungsereignisse in Gang zu setzen. Gerade selbsterzeugte Bedürfnisse aber müssen im gesamtgesellschaftlichen Bereich wirksam kommuniziert werden, wobei sich Medienangebote in besonderer Weise dazu eignen, gewinnrelevante Zahlungswilligkeit zu mobilisieren. (Schmidt 1995, S. 30)
Dementsprechend reagiert die Ausdifferenzierung des
Werbesystems auf die Ausdifferenzierung der Massenmedien im 19. und 20.
Jahrhundert. Abstrakt beschreibt Schmidt die spezifische Leistung der Werbung
für das Wirtschaftssystem in der Produktion von Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit ist in massenmedial geprägten, kapitalistischen
Gesellschaften ein zweifach knappes Gut, weil sowohl "ein Übermaß
an Medienangeboten in allen Mediensystemen um die Aufmerksamkeit von
Rezipienten kämpft" (S. 31) als auch "ein Übermaß an
Gütern und Leistungen [...] die Aufmerksamkeit von Zahlungsfähigen
auf sich zu ziehen versucht." (S. 31). Das systembegründende Paradoxon der
Werbewirtschaft liegt schließlich daran, daß sie einerseits die
spezifische Leistung der Produktion von Aufmerksamkeit erbringen möchte,
damit aber durch die Produktion von Medienangeboten selbst wieder zur
Vermehrung des Übermaßes und zur stärkeren Knappheit von
Aufmerksamkeit beiträgt. Dadurch errichtet die Werbung einen Kreislauf von
Kreativität, Innovation und Veraltung, der sie erst als System am Leben
erhält. (S. 29-32).
Das Werbesystem leistet für andere soziale Systeme die Produktion von
Aufmerksamkeit bei der intendierten Zielgruppe. In Bezug auf das
Wirtschaftsystem sollen die so produzierte Aufmerksamkeit vor allem dazu
dienen, Bedürfnisse wachzuhalten und so Zahlungen in Gang zu setzen. Dabei
ist die spezifische Wirksamkeit von Werbung weniger wichtig. Es reicht dem
Wirtschaftssystem, zu wissen, daß ein Produkt, für das nicht
geworben wird, auch nicht gekauft wird. Auf der anderen Seite kann Werbung
Aufmerksamkeit nicht garantieren: ein wirklich schlechtes Produkt verkauft sich
nicht. All dies alleine reicht aber noch nicht aus, um Werbung gerade als
Teilsystem des Wirtschaftssystems - und nicht als ein beliebiges
eigenständiges soziales System - zu konzipieren. Hier argumentiert Schmidt
damit, daß das Werbesystem auf einer elementaren Ebene in den
Begrifflichkeiten des Wirtschaftssystems beschreibbar ist. Auch im Werbesystem
geht es darum, Zahlungsereignisse aneinanderzuketten und diese auf
Bedürfnisse (in diesem Fall das Bedürfnis des "beleisteten" Systems
nach Aufmerksamkeit) zu beziehen. Das Kommunikationsmedium des Werbesystems ist
damit Geld. (S. 36f.)
Diese Konzeption des Werbesystems als Teilsystem des Wirtschaftssystems zieht
nach sich, daß das Werbesystem auch den Leitwerten des Wirtschaftssystems
folgt. Dieses hat zur Folge, daß die im Werbesystem ausdifferenzierten
Handlungsrollen (Auftraggeber, ProduzentInnen, DistributorInnen, etc.)
vornehmlich über das Medium Geld miteinander kommunizieren. Auftraggeber[11] zahlen ProduzentInnen (also etwa
Werbeagenturen), damit diese Aufmerksamkeit für Produkte der Auftraggeber
erzeugen. ProduzentInnen erarbeiten dazu Medienangebote - massenmediale
Botschaften -, für die sie Werbezeiten oder Werbeplatz bei den
DistributorInnen - d.h. bei verschiedenen massenmedialen Systemen -
kaufen (S. 36f.). Unter den Bedingungen einer
Aufmerksamkeitsökonomie steht das Werbesystem vor dem Problem, gegen
Zahlung spontan Innovatives zu bieten, d.h. spontan Kreativität zu
entwickeln. Unter diesem Druck verhält sich das Werbesystem
notwendigerweise parasitär. "Es importiert
Kommunikationsmöglichkeiten aus (fast) allen Sozialsystemen und
transformiert sie unter seinen Systembedingungen in Werbekommunikation." (S.
37). Werbung muß also kreativ und innovativ sein, aber Werbung ist anders
als etwa das Sozialsystem Kunst - primär - an den Code Zahlung /
Nichtzahlung gekoppelt. "Sie verkauft Kreativität, die verkauft." (S.
40). Dagegen wird Geld auch im System Kunst als Medium eingesetzt, ist aber
nicht das Medium, in dem sich die Leitdifferenz des Kunstsystems, der Bezug auf
einen künstlerischen Wert oder Rang, ausdrücken ließe. Werbung
mag zwar Teil unserer Kultur sein, mag Indikator sozialen und kulturellen
Wandels sein[12] -, aber Werbung ist nicht
Kunst (wie dies bei Wischermann anklingen mag), sondern Wirtschaft.
Luhmann
zufolge ist Werbung allerdings weder Kunst noch Wirtschaft. Dennoch sagt auch
er: "Im gesamten Bereich der Massenmedien gehört Werbung zu den
rätselhafteren Phänomenen." (Luhmann 1995, S. 85). Sein Ansatz,
dieses Rätsel anzugehen, liegt darin, die Werbung der System der
Massenmedien zuzuordnen - nicht als ein eigenes voll ausgebildetes Subsystem,
sondern als etwas, das er Programmbereich nennt. In der Realität
der Massenmedien gliedert Luhmann das System der Massenmedien in drei
solche Programmbereiche: Nachrichten und Berichte, Unterhaltung sowie Werbung.
Diesen Begriff der Programmbereiche führt er ein, weil sich die einzelnen
abgrenzbaren Untereinheiten der Massenmedien zwar in ihren spezifischen
Selektionskriterien erheblich voneinander unterscheiden, ihre
systemtheoretische Grundstruktur aber dieselbe ist. Jeder Bereich nutzt den
Code Information / Nichtinformation, jeder Bereich ist strukturell eng an die
"Menschenumwelt" gekoppelt. Auch sind Überschneidungen zwischen den
Bereichen nicht ausgeschlossen; sie sind nicht durch Systemgrenzen voneinander
getrennt. (S. 51f.; vgl. auch Luhmann 1998, S. 1014f.).
Weiter oben habe ich bereits Luhmanns drei Definitionskriterien für das
System der Massenmedien genannt: technische Verbreitungsmedien als Träger,
die Einschränkung direkter Interaktion sowie der primäre Code
Information / Nichtinformation. Die ersten beiden dieser Kriterien gelten
unzweifelhaft auch für die Werbung; insofern liegt Luhmanns Einordnung
nahe. Der strittige Punkt liegt demnach in der Frage, ob Werbekommunikationen
tatsächlich dem primären Code Information / Nichtinformation
entsprechen. An dieser Stelle muß daran erinnert werden, daß
Information / Nichtinformation aus konstruktivistischer Sicht nichts mit
Wahrheit oder Lüge zu tun hat, sondern nur wiedergibt, daß ein
System innerhalb seiner Grenzen Information ausgehend von Irritationen etc.
dann erarbeitet, wenn diese im Hinblick auf spätere Ereignisse für
das System einen Unterschied darstellt. Ob der Programmbereich Werbung Teil der
Massenmedien ist, kann demnach nicht danach entschieden werden, ob Werbung
lügt oder die Wahrheit sagt, ob Werbung täuscht und manipuliert -
oder nur sachlich über Produkteigenschaften informiert.
Nach Luhmann besteht das Ziel der Werbung darin, "daran zu erinnern, daß
es etwas zu kaufen gibt und daß dabei bestimmte Namen oder optische
Signets besondere Beachtung verdienen." (1995, S. 86). Um dieses Ziel zu
erreichen, greift Werbung mitunter auch zu überaus manipulativen
Techniken. Luhmann nennt als Beispiele die schöne Form in Text und Bild,
die aus sich selbst heraus einleuchtet[13],
und spricht den häufig paradoxen Sprachgebrauch der Werbung an, wo gespart
wird, indem Geld ausgegeben wird, etc. Werbung ist dann erfolgreich, wenn die
KonsumentIn bewußt darüber nachdenkt, ob das beworbene Produkt
gekauft werden soll oder nicht - womit das kognitive System der KonsumentIn
Information prozessiert, die ohne das Werbeereignis nicht prozessiert worden
wäre.
Werbung dient nicht - zumindest nicht primär - dazu, Zahlungsereignisse
auszulösen.[14] Eine
Aufwand-Ertrags-Kalkulation würde Werbung nicht rechtfertigen:
Der Erfolg der Werbung liegt nicht nur im Ökonomischen, nicht nur im Verkaufserfolg. Das System der Massenmedien hat auch hier eine eigene Funktion, und sie dürfte in der Stabilisierung eines Verhältnisses von Redundanz und Varietät in der Alltagskultur liegen. (Luhmann 1995, S. 94; Herv. im Orig.)
Werbung wird
dadurch angetrieben, daß sie zugleich Varietät - immerfort Neues -
und Redundanz - also zum Beispiel Markentreue - erzeugen muß. Sie liefert
Vorlagen für Geschmacksentscheidungen und schafft eine hohe
Standardisierung der Produkte, der eine starke oberflächliche
Produktdifferenzierung entspricht. Das ist es, was von Werbung kommuniziert
wird, und was für Luhmann die spezifische Funktion des Teilbereichs
Werbung der Massenmedien für die Gesellschaft ist: eine Ordnung mit hohen
Wahlmöglichkeiten zwischen standardisierten Varianten zu kommunizieren.
Zugleich sind für Luhmann die Programmbereiche der Massenmedien dadurch
unterschieden, daß sie jeweils eine unterschiedliche
"Bezugsrealität" (S. 117) aufweisen. Diese Bezugsrealität - für
die Werbung ist es der Markt - kann unterschiedlich interessant sein und etwa
dafür sorgen, daß Werbung in ihren Erscheinungsformen Anleihen bei
der Unterhaltung nimmt. Systemtheoretisch konzipiert Luhmann diese
unterschiedlichen Bezugsrealitäten im Sinne der strukturellen Kopplung
(und Co-Evolution) der unterschiedlichen Programmbereiche an unterschiedlichen
Bezugssystemen (S. 122ff.). Für die Unterhaltung spricht er von der Kunst
als gekoppeltem System, bei den Nachrichten werden Politik und Sportsystem
erwähnt, und für die Werbung ist das entsprechende System
natürlich die Wirtschaft:
Die Werbung ist ohne Zweifel ein eigener Markt des Wirtschaftssystems mit eigenen, an Spezialmärkten orientierten Organisationen. Aber sie ist nicht nur das. Denn Werbung muß ihr Produkt über die Eigendynamik des sozialen Systems der Massenmedien realisieren und nicht nur, wie im typischen Fall bei anderen Produkten, über die [...] Eignung zur Befriedigung eines Bedarfs. Im Bereich der Werbung ist also die Wirtschaft ebenso auf das System der Massenmedien angewiesen wie dieses auf sie; und es läßt sich, wie typisch für Fälle struktureller Kopplungen, keine sachlogische Asymmetrie, keine Hierarchie feststellen. (Luhmann 1995, S. 122)
Um
die beiden Ansätze noch einmal klarer zu unterscheiden, soll an dieser
Stelle verglichen werden, was jeweils als Leistung für andere soziale
Systeme und was als gesellschaftliche Funktion der Werbung genannt wird.
Die letzte Frage ist recht klar zu beantworten: Luhmann spricht davon,
daß Werbung eine Ordnung zwischen Varität und Redundanz erschafft,
als spezifischere Funktion neben der allgemeinen realitätsdirigierenden
Funktion der Massenmedien. Zugleich spricht er von der latenten Funktion der
Werbung: "[Sie] liegt aber in der Erzeugung und Festigung von Kriterien des
guten Geschmacks für Leute, die von sich aus darüber nicht mehr
verfügen; also in der Belieferung mit Urteilssicherheit in bezug auf die
symbolischen Qualitäten von Objekten und Verhaltensweisen." (Luhmann 1998,
S. 1105).
Schmidt ordnet die Werbung dem Funktionssystem Wirtschaft unter. Ihre
spezifische gesellschaftliche Funktion sieht er darin, daß Werbung "als
Resonanzkörper, als sensibler Indikator sozialen Wandels im Bereich des
Welt- und Lebensgefühls der Menschen in modernen Gesellschaften beobachtet
werden [kann]" (Schmidt 1995, S. 41). Er begründet diese Funktion damit,
daß Werbung das Produkt Aufmerksamkeit verkaufen will und deswegen dazu
gezwungen ist, die Zielgruppe der Werbung - und damit sämtliche andere
Systeme - genau und schnell zu beobachten und auf Veränderungen zu
reagieren. Werbung ist also Indikator für kulturellen Wandel, für den
spezifischen "Zeitgeist" (oder auch dessen Pluralform). Vermittelt durch
Schmidts Kultur-Konzeption kann Werbung damit auch sozialen Wandel erfassen:
Wenn Werbung überleben will, muß sie sich auf jeden sozialen Wandel
einstellen[15].
Als Leistung der Werbung für andere Systeme nennt Schmidt vor allem die
Leistung der Werbung für ihr Supersystem Wirtschaft: "[D]ie Produktion
folgenreicher Aufmerksamkeit für Produkte, Leistungen, Personen und
'Messages' mit Hilfe von Medienangeboten." (S. 37). Diese Leistung kann die
Werbung aber auch für andere Systeme erbringen (S. 32) - zu denken ist
hierbei insbesondere an die Politik. Kunst und Werbung schließlich stehen
in einem speziellen Spannungsverhältnis, weil sie sich zu einem gewissen
Maß gegenseitig verwerten und imitieren (S. 39f.)
Bei Luhmann findet sich zur Frage der Leistung der Werbung für andere
Systeme[16] nur die enge strukturelle Kopplung
zwischen Werbung als Teil der Massenmedien und Wirtschaftssystem, wobei die
Leistung der Werbung hier wie bei Schmidt in der Schaffung von Aufmerksamkeit
für andere Produkte liegt ("Eher scheint es um den Zwang zu gehen,
sichtbar zu bleiben"; Luhmann 1995, S. 93). Damit scheinen sich zugleich die
tatsächlichen Differenzen zwischen Luhmann und Schmidt auf dieser Ebene in
bloße Differenzen zwischen den Begrifflichkeiten aufzulösen.
Interessant ist hierbei noch die Annahme der Verschränkung: Die Werbung
ist auf das Wirtschaftssystem (als Auftraggeberin?) angewiesen, die Wirtschaft
kann Aufmerksamkeit nur über den Werbezugang in die Massenmedien
akkumulieren. Der Gedanke des kreativ-parasitären Ausschlachtens aller
anderen Systeme für die eigenen Zwecke, der bei Schmidt eine wichtige
Rolle spielt, wird bei Luhmann nur auf andere Teilbereiche der Medien hin
ausgeführt, wenn er davon spricht, daß Werbung aufgrund ihrer
uninspirierenden Bezugsrealität Markt auf die Übernahme von Elementen
aus dem Bereich der Unterhaltung angwiesen ist (S. 117).
Wie
soll mit diesen beiden unterschiedlichen systemtheoretischen Positionen zur
Werbung umgegangen werden? Handelt es sich nur um unterschiedliche
Beobachtungsperspektiven[17]? In diesem Fall
wäre die Existenz sich widersprechender Konzeptionen der Werbung nicht
weiter problematisch. Eine Synthese beider Positionen könnte dann darin
bestehen, festzuhalten, daß ein und derselbe Gegenstand - die Werbung -
sowohl als Programmbereich des Mediensystems als auch als bestimmtes Subsystem
der Wirtschaft gesehen werden kann, und daß je nach Blickrichtung
unterschiedliche Akzente in den Vordergrund treten.
Wenn dagegen die Systemtheorie nicht nur als theoretisches Gerüst für
die Analyse gesehen wird, sondern als gültige Beschreibung real
existierender Gebilde, wenn also die Annahme oder Nichtannahme eines
eigenständigen Wirtschaftssubsystems Werbung auch Aussagen darüber
liefert, welche Eigendynamik ein solches System entwickelt, welche Emergenzen
zu erwarten sind, bleibt nur noch die begründete Annahme einer der beiden
Theorievarianten: Luhmann oder Schmidt, aber nicht beide. Eine Synthese
wäre in diesem Fall nur noch über den Umweg einer mehr oder weniger
willkürlichen Zersplitterung der Werbung möglich, dadurch also,
daß einige der Kommunikationen im Bereich der Werbung dem
Wirtschaftssystem zugeordnet werden, während andere Kommunikationen dem
Mediensystem zugeordnet werden müssten. Darunter würde aber ohne
Zweifel die Einheitlichkeit des Begriffes Werbung stark leiden. Nur noch die
Annahme einer weitgehenden strukturellen Kopplung könnte dann etwa
erklären, warum eine Werbeagentur als eine Einheit einerseits
Kommunikationen über Budgets führen kann und damit (und nur damit)
als Teil des Wirtschaftssystems auftritt, und andererseits - aber als
Gegenleistung für diese Budgets! - über die Frage der Form und des
Inhalts bestimmter Anzeigen oder Fernsehspots nachdenkt, damit als einheitliche
Entität Kommunikationen über Informationen führt und so (und nur
so) einen Teil des Mediensystems darstellt.[18]
Ein dritter Weg, um dieses Problem zu lösen, könnte darin bestehen,
die Werbung als etwas ganz eigenständiges zu thematisieren, das sowohl mit
dem System der Massenmedien als auch mit dem System der Wirtschaft in enger
struktureller Kopplung steht. Dies - die Konzipierung der Werbung als einer
janusköpfigen Wesenheit, deren einer Kopf zu den Medien schaut,
während der andere die Wirtschaft anlächelt - scheint mir eine
durchaus brauchbare Annahme zu sein, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit
nicht genauer ausgearbeitet werden kann. Interessant daran wäre vor allem
der Gedanke einer doppelten Codierung der in dieser Entität ablaufenden
Kommunikation, sowohl im Code Information / Nichtinformation als auch im Code
Zahlung / Nichtzahlung, ohne klare Präferenzen setzen zu können.
Wie soll Werbung konzipiert werden - ohne das hier andiskutierte ausdiskutieren
zu können? Die Schmidtsche Position weist gewisse Vorteile auf -
insbesondere ermöglicht sie dadurch, daß Werbung für sie
außerhalb der Medien und innerhalb der Wirtschaft steht, die Untersuchung
der Verbindungen zwischen Medien und Werbung als Teil der Wirtschaft. Dieser
analytische Vorteil, der sich praktisch etwa in der Analyse von
Geldflüssen zwischen Medien und Wirtschaft über die Werbung zeigen
könnte, verdeckt allerdings einen großen analytischen Nachteil.
Dadurch, daß Schmidt die Werbung als Teilsystem der Wirtschaft konzipiert
und sagt, daß dieses wirtschaftliche Teilsystem zur Produktion seiner
Produkte auf den Kauf von Raum und Zeit in den Medien angewiesen ist, fallen
einige unter Werbung zu handelnde Produkte ganz aus dem Blickfeld heraus. Wie
sieht es mit einer Plakatwand aus, wie mit der werblich gestalteten Verpackung
eines massenindustriell gefertigten Nahrungsmittels? Mit Luhmann haben wir es
hier einfacher: Plakatwände oder Produktoberflächen sind
natürlich auch technische Verbreitungsmedien, die allerdings innerhalb des
Systems der Massenmedien primär nur von einer ganz bestimmten Sparte -
eben der Werbung - bedient werden. Wenn dagegen die Schmidtsche These gelten
soll, bleiben meiner Meinung nach nur zwei gleichermaßen unbefriedigende
Auswege: der eine besteht darin, Werbung auf die bezahlte Werbung in
Massenmedien zu reduzieren.[19] Der zweite
Auswege läge darin, nicht die Werbung, sondern die Medien umzudefinieren.
Diese etwas schräge Einbettung der Existenz nicht-klassisch-massenmedial
gebundener Werbung in Schmidts Theorie hätte die Konsequenz,
Plakatwände, Straßenbahnen und Produktoberflächen
äquivalent in das System der Massenmedien aufzunehmen und davon
auszugehen, daß Werbung auch in diesen Bereichen der Massenmedien Raum
und Zeit kaufen kann. Die Überdeckung zwischen massenmedialem Substrat und
werblichem Inhalt würde in diesen Fällen bei nahezu 100% liegen, das
Werbesystem wäre in diesem Fall die einzige Kundin[20].
Da ich beide Auswege aus dem Dilemma der nicht an klassische Verbreitungsmedien
gebundenen Werbung im Schmidtschen Fall für wenig elegant halte, liegen
meine vorläufigen Präferenzen bei der Luhmannschen Konzeption der
Werbung als Teilbereich der Massenmedien. Vielleicht ist es an dieser Stelle
noch einmal wichtig, darauf hinzuweisen, daß Information bei Luhmann
tatsächlich ohne jede Rücksicht auf den Inhalt der Information
konzipiert ist. Primär hat Werbung das Ziel, die Information "Existenz
von Kaufmöglichkeiten" zu erzeugen - aber vom systemtheoretischen
Standpunkt her darf diese Information nicht anders gewertet werden als die
Information "Neues aus der Weltgeschichte", die Information "Wie führt
sich diese Fiktion fort? Gleich werden wir es erfahren ..." oder eine beliebige
andere Information. Maßstäbe wie Kommerzialität oder Unwahrheit
sind für den systemtheoretischen Informationsbegriff nicht tragfähig.
Damit müsste Werbung - egal in welcher Form sie auftritt - sich
tatsächlich als Teil der Massenmedien konzeptualisieren lassen, und zwar
als derjenige Teil der Massenmedien, dessen Selektionskriterien
maßgeblich davon bestimmt werden, ob der Versuch, Kaufoptionen zu
kommunizieren, im Sinne der Auslösung von Kaufereignissen im
Wirtschaftssystem erfolgreich war oder nicht - wobei Werbung als Teil der
Massenmedien von diesem Erfolg oder Nichterfolg der Kommunikation selbst
wiederum nichts wissen kann.
Noch
einmal zu Klärung der Begriffe: Massenmedien werden als ein soziales
System gesehen, das auf der primären Differenz Information /
Nichtinformation aufbaut, und über technische Verbreitungsmedien
Kommunikation ohne die Möglichkeit der direkten Interaktion zwischen
Anwesenden ermöglicht. Massenmedien bündeln Themen, ermöglichen
Anschlußkommunikationen an bereits Bekanntes und fungieren so als
Dirigent der Realitätswahrnehmung. Sie fokussieren Aufmerksamkeit auf die
von ihnen ausgewählten Themen und machen damit zugleich aus Informationen
Nichtinformationen.
Werbung ist ein Teilbereich der Massenmedien, der sich darauf spezialisiert
hat, seine Menschenumwelt als Menge von Kaufenden zu sehen, denen bestimmte
Kaufoptionen gegenüber anderen Kaufoptionen als überhaupt vorhanden
und besser geeignet bekannt gemacht werden sollen. Es gibt keine strikte
operative Trennung zu anderen Teilbereichen der Massenmedien. Auch Werbung kann
unterhalten, auch Nachrichten können werben. Die Bezugsrealität der
Werbung ist der Markt bzw. das Wirtschaftssystem, der Fundus, aus dem mediale
Formen ausgewählt werden können, ist nicht eingegrenzt. Werbung
arbeitet allerdings häufig mit Wiederholungen und grenzt sich in den
üblichen Verbreitungsmedien der Massenmedien durch Rahmungen von den
anderen Teilbereichen der Massenmedien ab, etwa durch den Kasten Anzeige
oder durch Einblendungen am Beginn und Ende von Werbesendungen.
Die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis der Werbung zu den Massenmedien kann
nun mit Bezug auf Luhmanns Konzeption präzisiert werden. Zum einen ergibt
sich die Frage, wie Werbung sich strukturell zu anderen Teilbereichen der
Massenmedien verhält. Zum anderen bleibt zu untersuchen, ob Werbung
alleine die von anderen Teilbereichen erstellten Formate nutzt, oder ob Werbung
eigene Formate zum Fundus der Massenmedien beisteuert.
Die erste Frage - eigentlich die Frage nach der Leistung der Werbung für
die anderen Teilbereiche der Massenmedien und umgekehrt - kann mit Luhmanns
Konzeption der Massenmedien nur recht schwerfällig angegangen werden.
Wahrscheinlich muß vielfach ein Umweg über eine doppelte
strukturelle Kopplung mitgedacht werden, etwa im Sinne von: Die Wirtschaft als
Umwelt der Massenmedien regt den Teilbereich Werbung dazu an, Informationen
über Kaufoptionen zu erstellen, woraufhin als Gegenleistung in derselben
strukturellen Kopplung Zahlungsereignisse ausgelöst werden, die von der
Wirtschaft an die Werbung an die Wirtschaft an die Massenmedien für den
Kauf von Raum und Zeiten wandern. Diese Frage ist die Frage danach, ob die
Werbung einen Teilbereich der Massenmedien darstellt, der parasitär die
von den anderen Teilbereichen konzentrierte Aufmerksamkeit ausnutzt, ohne
dafür gleichwertige Gegenleistungen beizutragen - etwa in Form der
Auslösung von Zahlungsereignissen, die helfen, das materiale Substrat der
Massenmedien zu erhalten.
Die zweite Frage ist die Frage, ob zwischen Werbung und Massenmedien in Bezug
auf die unterschiedlichen Formate ein parasitäres Verhältnis
herrscht. Hat Werbung spezifische Formate hervorgebracht, die nur für
Werbung von Interesse waren und nun auch von anderen Teilbereichen der
Massenmedien genutzt werden? Oder lief der Weg immer andersherum, hat Werbung
immer nur Formate ausgenutzt und parasitär aufgenommen, die in anderen
Teilbereichen der Massenmedien erfunden wurden? Im Bereich der biologischen
Metaphern würde das System der Massenmedien dann als Wirt, die Werbung als
Parasit bezeichnet werden.
Vielleicht müssen beide Fragen auch gemeinsam betrachtet werden, die eine
als Gegenseite der anderen. Wenn die Leistungen der Werbung für die
Massenmedien etwa gleichwertig sind wie umgekehrt die Leistungen der anderen
Teilbereiche für die Werbung, und wenn noch dazu die Leistungen in beiden
Richtungen essentiell sind, müsste - um bei den biologischen Metaphern zu
bleiben - von einem symbiotischen Verhältnis gesprochen werden. In seiner
Struktur würde ein derartiges Verhältnis bedeuten, daß nicht
entschieden werden kann, ob die Werbung die anderen Teilbereiche der Medien
beeinflußt oder umgekehrt.
Diese Ausführungen führen zu der These, daß Werbung und
Massenmedien prinzipiell nicht in einem rein parasitären Verhältnis
stehen, da die Werbung im Gegenzug für die Partizipation an der von
anderen Medienbereichen konzentrierten Aufmerksamkeit Geld (und, was noch zu
untersuchen wäre, eventuell auch Formate) zur Verfügung stellt. Es
scheint aber Teilbereiche der Werbung zu geben, für die andere Gesetze
gelten. Public Relations etwa wäre demnach schon sehr viel eher als
parasitär zum Mediensystem zu beschreiben als dies bei "normaler" Werbung
der Fall ist.[21]
Ob das Verhältnis als ein symbiotisches beschrieben werden kann,
hängt stark davon ab, ob die jeweiligen Leistungen essentiell für die
Aufrechterhaltung der Systeme sind. Für die Werbung läßt sich
wohl sicher sagen, daß sie ohne die anderen Massenmedien kaum existieren
könnte.[22] Ob auch die Aufrechterhaltung
des Mediensystems in gleicher Weise von der Werbung abhängt, erscheint mir
hingegen fraglicher. Um dies zu klären, müssten letztlich die
finanziellen und sonstigen Abhängigkeitsverhältnisse ("strukturellen
Kopplungen") zwischen dem System der Massenmedien und der Wirtschaft untersucht
werden. Es müsste also beispielsweise ein Blick auf den Anteil von
Werbefinanzierung verschiedener Medienarten über die Zeit geworfen
werden,[23] und auch der Einfluß der
Wirtschaft auf die redaktionelle Aufrechterhaltung von Medien (etwa durch
PR-Informationen) müsste untersucht werden. Wolfgang Haug beschrieb in
wenigen Zügen, wie sich von der Dekoration der Auslagen über den
Markenartikel bis hin zu "entscheidend durch die Werbung" bestimmten Medien
Litfaßsäule und Illustrierte Werbung in das Mediensystem
eingeschrieben hat (1980, S. 112 f.) Auch auf diese Thesen müsste ein
zweiter, genauerer Blick geworfen werden. Im Rahmen der Arbeit belasse ich es
bei diesen Andeutungen.
An
dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den für mich
ausschlaggebenden Grund dafür eingehen, warum Werbung als Teilbereich der
Massenmedien konzipiert werden soll. Kurz gesagt lag dieser ja darin, daß
in der Schmidtschen Konzeption der Werbung als Teilsystem der Wirtschaft diese
immer einen Gegenspieler braucht, der Raum und Zeit bereitstellt, um so erst
die Möglichkeit für Werbung zu schaffen, Aufmerksamkeit zu
akkumulieren. Diese Annahme wird immer dann besonders interessant, wenn es um
Werbung geht, die ihre Aufmerksamkeit nicht im "redaktionellen Umfeld" einer
Zeitungsseite, eines Kinofilms oder einer Fernsehsendung sucht, sondern
anderswo, die für sich existiert. Dann nämlich scheint dieser
Gegenspieler, um bei Schmidt zu bleiben, nicht im System der Massenmedien
angesiedelt zu sein, sondern muß erst mühselig konstruiert werden.
Im Fall der Plakatwerbung wäre diese Gegenspielerin eine auf die
Vermietung, Verwaltung und Plakatierung von Plakatwänden spezialisierte
Firma, die dann ihrerseits wiederum mit dem selben Recht dem Mediensystem
zugeordnet werden müsste wie ein Zeitungsverlag, der eine Zeitung
produziert. Ähnliches läßt sich natürlich ebenso beim
markenorientierten Design von Produkten, bei der Schaufenstergestaltung, bei
der Werbung auf Straßenbahnen oder bei der Produktion Architektur
gewordener Leuchtreklamen[24] (er-)finden.
Noch komplizierter wird es beim Sponsoring von Konzertveranstaltungen. All die
genannten Sparten von Werbung können sicherlich zwanglos unter die
Verbreitung von Informationen über die Existenz von Kaufoptionen
subsummiert werden und sollten deswegen eben tatsächlich auch als Werbung
behandelt werden.
Damit würden dann aber nach den drei das System der Massenmedien
umreißenden Kriterien nicht nur Plakatwände und
Litfaßsäulen zu technischen Verbreitungsmedien erklärt (wie
Buchdruck und Radiowellen es sind), sondern auch
Straßenbahnseitenflächen, Hauswände, Schaufenster,
Architekturen, Produktverpackungen und sogar Produktoberflächen.[25] Dieser Schritt müsste wahrscheinlich
auch gegangen werden, um Werbung mit einem eigenen Status als Teil des
Mediensystems einzubetten, wie es Luhmann macht. Die genannten technischen
Verbreitungsmedien würden dann im System der Massenmedien vorrangig oder
alleine von der Sparte der Werbung bedient werden, die aber genauso auch
weitere Verbreitungsmedien wie Rundfunkwellen oder Zeitungsdruck nutzen kann -
ebenso, wie umgekehrt auch Nachrichten die Möglichkeit haben, an
Hauswänden in Wandzeitungen zu erscheinen, wenn die Situation es sinnvoll
erscheinen läßt. Um den technischen Mediencharakter von
Produktoberflächen scheint keine der beiden Konzeptionen
herumzuführen.
Wenn Werbung jetzt aber keinen eigenen Status als Teil des Mediensystems
erhält - wobei die von der Werbung vorzugsweise gewählten Formen der
Kommunikation von Information neben Zeitungsanzeige und Rundfunkspot eben
gerade in den beschriebenen Verbreitungsmedien ihren Niederschlag fänden
-, sondern als Teilsystem der Wirtschaft gesehen wird, die andere Systeme zur
Akkumulation von Aufmerksamkeit nutzt, hätte dies unter anderem die Folge,
das System der Massenmedien erstaunlich aufzublähen. Fraglich ist dann, ob
etwa Plakatwandverwaltung alleine die drei Kriterien - technisches Medium,
keine Interaktion, Code Information - erfüllt. Vor allem das letzte
Kriterium scheint ohne engen Bezug zur Werbung kaum gehalten werden zu
können.
Eine weitere Folge diese Annahme wäre der Verlust der Aufteilung des
Mediensystems in die Teilbereiche wie Nachrichten und Unterhaltung.[26] Statt dessen würde dann eine Aufteilung
des Mediensystems rein nach den jeweils genutzten technischen Medien erfolgen,
ohne Rücksichtnahme auf die jeweilige gesellschaftliche Funktion.
Alternativ könnte einer größere Menge verschiedener Systeme
eingeführt werden, die sich allesamt darin ähneln, Raum und Zeit
anbieten zu können, um Aufmerksamkeit zu akkumulieren.
Statt also zwischen der Werbung (Wirtschaft) und der die Werbung realisierenden
Medienindustrie (Distribution) zu trennen, erscheint es mir sinnvoller,
tatsächlich Werbung selbst - inklusive ihrer Untergliederungen wie der
Außenwerbung oder der Produktgestaltung zur Formung von Marken - in das
System der Massenmedien einzubetten. Damit fällt die unsinnige Trennung
zwischen Inhalten der Medien und Trägermedium der Medien weg, die sich ja
ebenso (und ebenso auch wie die Frage nach der Trennung zwischen
informationeller und finanzieller Organisation) auch für alle anderen
Programmbereiche der Medien stellt. Auch das Fernsehprogramm als
Unterhaltungsinformation ist auf auf die technische Umsetzung der Ausstrahlung
spezialisierte Firmen und ExpertInnen angewiesen - und bezahlt diese. Warum
soll dies gerade im Bereich der Werbung eine Trennung zwischen medialem
Träger und medialem Inhalt rechtfertigen, nicht jedoch im Bereich der
Nachrichten oder der Unterhaltung? Wie bereits erläutert, liegt für
mich in der durch Organisationen hindurchgehenden funktionalen Trennung der
harten Systemtheorie ein grundsätzliches Problem - aber die Tatsache,
daß Werbung besonders stark auch von Marktgesetzen beeinflußt ist
(egal, ob dies mit Zahlungen als Primärcode oder mit einer engen
strukturellen Kopplung an das Wirtschaftssystem erklärt wird),
rechtfertigt nicht, gerade hier zwischen der "kreativen" und
"buchhalterischen" Seite zu trennen, dies aber in anderen Teilbereichen nicht
ebenfalls zu fordern.
Die Konzeption der Werbung als Teil der Massenmedien hat interessante Folgen.
Eine davon ist der Anstoß, auch Plakatwände und
Produktoberflächen als massenmediale technische Verbreitungsmedien zu
begreifen: Auf wievielen Frühstückstischen liegt dieselbe Zeitung,
auf wievielen Frühstückstischen wird eine identische
Cornflakes-Packung wahrgenommen? Welche Öffentlichkeit erreicht eine
Sendung im Nachtprogramm von Arte, welche Öffentlichkeit erreicht ein
provokantes, bundesweit gehängtes Plakat?
Nach
einem kurzen Überblick über potentiell geeignete Medientheorien fiel
die Entscheidung, die systemtheoretische Betrachtung der Massenmedien zur
Grundlage einer Untersuchung des Zusammenhangs von Werbung und Medien zu
machen. Die Anfänge der Werbung scheinen eng mit der Wirtschaft verbunden
zu sein. Trotzdem erscheint es - nach einer längeren Diskussion beider
Möglichkeiten - als sinnvoll, Werbung nicht mit Siegfried J. Schmidt als
Teilsystem der Wirtschaft, sondern mit Niklas Luhmann als Programmbereich der
Massenmedien aufzufassen. Das Verhältnis von Medien, Wirtschaft und
Werbung wurde näher betrachtet. Werbung imitiert die Stile anderer
Programmbereiche der Massenmedien und nutzt die von anderen Medien gesammelte
Aufmerksamkeit, als Gegenleistung werden Zahlungen an andere Bereiche
herangeleitet. Es wurde als ohne weitere Untersuchungen nicht entscheidbar
offengelassen, ob dieses Verhältnis eher als parasitär oder eher als
symbiotisch beschrieben werden kann. Um dies zu entscheiden, wäre eine
detailliertere Betrachtung der Co-Evolution von Werbung und Wirtschaft genauso
notwendig wie ein Blick auf die heutige strukurelle Kopplung beider Bereiche.
Ein Nebeneffekt der hier durchgeführten Untersuchung des
Verhältnisses von Werbung und Massenmedien lag darin, daß Luhmanns
Einschreibung der Werbung in das System der Massenmedien nicht nur zur Folge
hat, daß ein völlig von seinen symbolischen Botschaften getrennter
Informationsbegriff verwendet werden muß, sondern auch, daß der
Begriff der technischen Verbreitungsmedien als Grundlage der Massenmedien auf
Bereiche der Alltags ausgedehnt werden muß, die bei oberflächlicher
Betrachtung nicht in diesen Bereich gehören - die Oberflächen von
Massenprodukten genauso wie Elemente der öffentlichen Raumes, die von der
Werbung zur Kommunikation genutzt werden.
Oder wie Oliviero Toscani (Benetton) es in seinem Buch Die Werbung ist ein
lächelndes Aas zusammenfaßt: "Unsere gesamte Welt, der ganze
Planet wird überschwemmt! Es ist völlig unmöglich, die Zeitung
aufzuschlagen, kurz einen Schritt zu tun, ohne auf die gute alte Werbung zu
stoßen. Sie ist überall." (1996, S. 16).
Interessant
für den Zusammenhang zwischen Werbung und Massenmedien erscheint mir ein
kurzer Blick auf die Entwicklung der modernen Medien. Folgende Tabelle gibt
Auskunft (Daten nach BMWi 1995, S. 68):
1450 -- Buchdruck
1609 -- erste regelmäßig erscheinde Zeitung in Straßburg
1682 -- Zeitschrift
1829 -- Fotografie ("echte" Abbildungen)
1840 -- elektrischer Telegraf
1875 -- Telefon (Echtzeit-Kommunikation über eine Fernleitung)
1895 -- Film (Reproduktion und Produktion bewegter Bilder)
1897 -- drahtloser Telegraf
1920 -- Rundfunk
1950 -- Tonbandgerät
1954 -- Einführung des Schwarzweiß-Fernsehens in Deutschland
(entwickelt seit 1925)
1967 -- Farbfernsehen
1971 -- Satelliten-TV
1978 -- Video und Kabel
1980 -- Bildschirmtext, Personalcomputer
1982 -- Bildplattenspieler
1983 -- CD-Spieler
1990 -- Digitaler Mobilfunk
1992 -- WWW, CD-ROM
2000 -- "Multimedia"
Abb. 1: Raumergreifende Schaufenstergestaltung einer Supermarktkette
Abb. 2: West, Bild, Lord Extra, Toto Lotto, ...
Abb. 3: Architektur als Werbung?
Abb. 4: Eine Straßenbahn oder "Das Modehaus der Dame"?
Baudrillard 1978
Jean Baudrillard: "Requiem für die Medien"; in: ders.: Kool Killer oder Aufstand der Zeichen. Berlin, 1978, S. 83-118.
Baudrillard 1989
Jean Baudrillard: "Videowelt und fraktales Subjekt"; in: ARS ELECTRONICA (Hg.): Philosophien der neuen Technologie. Berlin: Merve Verlag, 1989.
Baudrillard 1991
Jean Baudrillard: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt am Main/New York: Campus, 1991. [orig. Paris 1968, dt. 1974].
BMWi 1995
Bundesministerium für Wirtschaft (Hg.): Die Informationsgesellschaft. Fakten, Analysen, Trends. Bonn, 1995.
Brockhaus 1950
Der kleine Brockhaus. Zweiter Band L bis Z. Wiesbaden: Eberhard Brockhaus, 1950.
Cook 1992
Guy Cook: The Discourse of Advertising. London/New York: Routledge, 1992.
Enzensberger 1970
Hans Magnus Enzensberger: "Baukasten zu einer Theorie der Medien"; in: ders. (Hg.): Kursbuch 20, März 1970, S. 159-186.
Giddens 1995
Anthony Giddens: Soziologie. Graz/Wien: Nausner & Nausner, 1995.
G+J EMS/Forsa 1997
G+J EMS / Forsa: Exklusiv-Umfrage Oktober 1997, Zusammenfassung der Ergebnisse. Hamburg: G+J EMS, 1997.
Görke/Kohring 1996
Alexander Görke / Matthias Kohring: "Unterschiede, die Unterschiede machen: Neuere Theorieentwürfe zu Publizistik, Massenmedien und Journalismus"; in: Publizistik, 41 (1996), Heft 1, S. 15-31.
Hartmann/Haubl 1992
Hans A. Hartmann; Rolf Haubl (Hg.): Bilderflut und Sprachmagie. Fallstudien zur Kultur der Werbung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1992.
Haug 1980
Wolfgang Fritz Haug: "Werbung" und "Konsum". Systematische Einführung. Warenästhetik und kapitalistische Massenkultur, Bd. I. Berlin: Argument-Verlag, 1980.
Heller 1984
Eva Heller: Wie Werbung wirkt. Theorien und Tatsachen. Frankfurt am Main: Fischer, 1984.
Hölscher 1998
Barbara Hölscher: Lebensstile durch Werbung? Zur Soziologie der Life-Style-Werbung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1998.
Horkheimer/Adorno 1988
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: "Kulturindustrie"; in: dies.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main, 1988, S. 128-176.
Hund/Kirchhoff-Hund 1980
Wulf D. Hund und Bärbel Kirchhoff-Hund: Soziologie der Kommunikation. Arbeitsbuch zu Struktur und Funktion der Medien. Grundbegriffe und exemplarische Analysen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1980.
Kaiser 1980
Andreas Kaiser: Werbung. Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung. München: Verlag Franz Vahlen, 1980.
Kriegeskorte 1995
Michael Kriegeskorte: 100 Jahre Werbung im Wandel: eine Reise durch die deutsche Vergangenheit. Köln: DuMont, 1995.
Lexikon zur Soziologie 1995
Werner Fuchs-Heinritz u.a. (Hg.): Lexikon zur Soziologie. 3., völlig neu bearb. Aufl., Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995.
Luhmann 1991
Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 2. Aufl., Opladen: Westdeutscher Verlag, 1991.
Luhmann 1995
Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. 2. erw. Aufl.; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995.
Luhmann 1998
Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Taschenbuchausgabe in zwei Bänden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998.
Marcinkowski 1993
Frank Marcinkowski: Publizistik als autopoeitisches System. Politik und Massenmedien. Eine systemtheoretische Analyse. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993.
McLuhan 1995
Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media. 2. erw. Aufl., Basel 1995 [orig. 1964].
Montani 1996
Marco Montani: "Paradise lost. Warum viele Unternehmen vom Internet enttäuscht sind"; in: Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Mannheim: Bollmann 1996, S. 218-229.
Pürer/Raabe 1996
Heinz Pürer / Johannes Raabe: Medien in Deutschland. Bd. 1. Presse. 2., korr. Aufl., Konstanz: UVK Medien, 1996.
Riha 1979
Karl Riha: "Plakate und andere graphische Literatur-Medien"; in: Werner Faulstich (Hg.): Kritische Stichwörter Medienwissenschaft, München: Wilhelm Fink, 1979, S. 252-276.
Rilling 1998
Rainer Rilling: "Marktvermittelt oder selbstorganisiert?"; in: Claus Leggewie/Christa Maar (Hg.): Internet & Politik. Köln: Bollmann, 1998, S. 366-380.
Rühl 1993
Manfred Rühl: "Marktpublizistik. Oder: Wie alle - reihum - Presse und Rundfunk bezahlen"; in: Publizistik, 38 (1993), S. 125-152.
Schmidt 1995
Siegfried J. Schmidt: "Werbung zwischen Wirtschaft und Kunst"; in: ders./B. Spieß (Hg.): Werbung, Medien und Kultur. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995.
Thoma 1898
R. Thoma: "VIII. Das Plakatwesen"; in: Badischer Architecten- und Ingenieur-Verein (Hg.): Freiburg im Breisgau. Die Stadt und ihre Bauten. Freiburg: H. M. Poppen & Sohn, 1898; zitiert nach: Augustinermuseum u.a. (Hg.): 100 Jahre Freiburger Architektenbuch. Freiburg: Poppen & Ortmann, 1998, S. 316.
Toscani 1996
Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas. 2. Aufl., Mannheim: Bollmann, 1996.
Twitchell 1996
James B. Twitchell: Adcult USA. The Triumph of Advertising in American Culture. New York: Columbia University Press.
Wischermann 1995
Clemens Wischermann: "Der kulturgeschichtliche Ort der Werbung"; in: Peter Borscheid/ders. (Hg.): Bilderwelt des Alltags. Stuttgart: Franz Steiner, 1995.
[1] Eine Arbeit über die zweite Art
eines parasitären Verhältnisses wäre durchaus auch reizvoll; sie
müsste sich mit Phänomen aus dem Bereich der Kommunikationsguerilla
einerseits und der Reaktion der Werbesystems auf seine Umwelt andererseits
(etwa durch die Plazierung der Kampagne die "Die Roten kommen!" durch Camel
zum Zeitpunkt der Bundestagswahl, die sich in Gestaltung und Aussage auf die
Wahl bezog) auseinandersetzen.
[2] Die Begrifflichkeiten in diesem Bereich sind
ja leider alles andere als ein sicherer Grund: Medien, Kommunikation und
Information sind allesamt Begriffe, die hier mehr als eine spezifische
Bedeutung haben.
[3] Auch wenn Jean Baudrillard in Das System
der Dinge (1991, frz. Orig. 1968) ausführlich und durchaus
aufschlußreich auch auf den Stellenwert von Werbung im System der Dinge -
d.h. in unserem materiellen Alltag - eingeht.
[4] Was von Luhmann allerdings mit dem Argument
bestritten wird, daß nicht alles, was neu ist, für das System
interessant sein muß, sondern nur das interessant ist, was neu ist
und nach den jeweiligen Selektionskriterien ausgewählt wird - also
nur das, was als Unterschied einen Unterschied macht (Bateson): eben
Information (Luhmann 1995, S. 42).
[5] Neben der es weitere Leistungen für
andere Teilsysteme geben kann.
[6] Stichwort Wirtschaftswerbung:
Stillschweigend vorausgesetzt geht es in dieser Arbeit nur um diesen -
allerdings weit verbreiteten - Spezialfall von Werbung. Wie weit sich das hier
und später Ausgeführte auf politische Propaganda oder gar auf
zwischenmenschliche Werbung per Heiratsanzeige verallgemeinern läßt,
müsste im Einzelnen untersucht werden.
[7] Vgl. zur Entwicklung der Medien auch die
Übersicht in Anhang A1. Zur (Theorie-)Geschichte des Plakatwesens vgl.
auch Riha 1979.
[8] In diesem und den folgenden Abschnitten
ignoriere ich das von Kriegeskorte und anderen genannte Vorhandensein eines
ausgedehnten Werbesystems vor dem Mittelalter. Ich halte die hier dargestellte
Argumentation auch dann für nachvollziehbar, wenn die frühe
Neuzeit/das Spätmittelalter nicht als Beginn, sondern nur als
Wiederaufleben einer durch das Mittelalter unterbrochenen Tradition der Werbung
konzeptualisiert wird.
[9] D.h. auch mediatisierte!
[10] D.h. der Leistung für die
Gesamtgesellschaft, die von den systemspezifischen Leistungen als
Leistungen für andere Sozialsysteme unterschieden wird.
[11] Egal ob aus der Wirtschaft, mit dem Ziel,
Aufmerksamkeit für Produkte zu verkaufen, oder aus der Politik, mit dem
Ziel, Aufmerksamkeit für Ideen zu verkaufen, oder aus einem anderem System
mit einem anderen Bedüfnis nach Aufmerksamkeit.
[12] Werbung als Indikator sozialen Wandels:
Eine weitere These Schmidts, der diese Indikatorfunktion der Werbung damit
erklärt, das Werbung sich allen anderen System gegenüber
parasitär verhält und so in der Lage dazu ist, Trends sehr schnell
aufzuspüren. Zur Frage, wie der alltägliche Lebensstil mit den Trends
der Werbung zusammenhängt, vgl. auch Hölscher 1998.
[13] Wobei Werbung im Unterschied zur Kunst
aber nicht im intertextualen Spiel mitspielt. (Luhmann 1995, S. 86, Fn. 1).
[14] Vgl. zur Wirkung der Werbung - die nicht
in der Absatzförderung liegen kann - und zur Kritik der sogenannten
Werbewirkungsforschung (Kroeber-Riel u.a.) auch Heller 1984, insbesondere S.
230 ff.
[15] Wobei Schmidt auch auf die Frage eingeht,
ob Werbung Trends setzen kann und sozialen/kulturellen Wandel erzwingen kann.
Er beantwortet dies mit einem klaren Nein. (Schmidt 1995, S. 42; vgl. dazu auch
Hölscher 1998).
[16] Genannt werden könnten noch die
Ausführungen Luhmanns zur Schaffung von Kultobjekten durch die Werbung,
die Szenen begründet und so die Infragestellung des Kapitalismus
verhindert (Luhmann 1995, S. 93).
[17] Darauf würde Fußnote 6 bei
Luhmann 1995, S. 123 hindeuten, wo er auf die unhierarchische strukturelle
Kopplung von Werbung und Wirtschaft eingeht und diese Frage zu klären
explizit der Beobachterperspektive überläßt - und der
Beobachtung der Beobachter.
[18] Ähnliche Zuordnungsprobleme ergeben
sich meiner Meinung nach auch, wenn etwa das System der Massenmedien unter der
Lupe betrachtet wird, und dabei das System Massenmedien nicht nur als Konstrukt
der Analyse, sondern auch als empirisch vorhandene Einheit gesehen wird. Dann
stellt sich nämlich die Frage, ob Zahlung / Nichtzahlung einen
sekundären Code im System der Massenmedien darstellt, oder ob alle
Handlungen von Buchhaltungsabteilungen, leitenden ManagerInnen und
FernsehgebührenzahlerInnen aus diesem System aus- und in das
Wirtschaftssystem einzugliedern sind. Damit sind die entsprechenden Systeme
zwar soziologisch deutlich tragbarer, verlieren aber noch mehr von der so schon
kaum vorhandenen Bezogenheit zur Alltagswelt. Eine andere Möglichkeit, um
dieses Dilemma zu lösen, liegt darin, davon auszugehen, daß
"kleinere" soziale Systeme sich selbst wieder ähnlich ausdifferenzieren
wie das sie umfassende große soziale System, hier die Gesellschaft. Wenn
das aber heißen würde, daß es letztendlich soetwas wie die
Wirtschaft der Massenmedien, die Wirtschaft der Politik, die Wirtschaft der
Religion etc. geben müsste - wie kommen diese innersystemaren Wirtschaften
gesellschaftlicher Teilsysteme dann mit der Wirtschaft der Gesellschaft
zusammen, wo sind die hier augenscheinlich fehlenden und als fehlend
vorausgesetzten Verbindungen? Um das ganze auf die Spitze zu treiben:
Müsste es dann nicht auch ein eigenes kleines System der Medien der
Wirtschaft der Medien der Gesellschaft geben - das System, daß sich in
der Publikation von Geschäftsberichten von Medienunternehmen hervortut?
Vgl. zur Frage der Definition von Funktionssystemen auch (Luhmann 1995, S.
126f.).
[19] Praktisch hieße das, alles andere
unter andere Begriffe zu packen - Public Relations, Corporate Identity,
Produktdesign müssten allesamt aus der Werbung ausgegliedert und in andere
(Teil-)systeme der Wirtschaft oder anderer gesellschaftlicher Systeme
eingegliedert werden.
[20] Für diesen Ansatz spricht die
Existenz von auf genau dieses Angebot (also auf die Verwaltung und Beklebung
von Werbeflächen) spezialisierter Firmen im Bereich der
Außenwerbung.
[21] Public Relations - also die
Öffentlichkeitsarbeit eines Konzerns, um kostenlose Berichte über
seine Produkte zu lancieren - kann aber auch als Austausch zwischen der
Bereitstellung von Themen und der Bereitstellung von Aufmerksamkeit gesehen
werden.
[22] Eva Heller formuliert diese Besonderheit
der Werbung im Vergleich zu anderen Programmbereichen der Medien in Bezug auf
das Publikum prägnant: "Das Publikum der Werbung ist immer ein
unfreiwilliges Publikum. Niemand kauft eine Illustrierte der Werbung wegen.
Niemand schaltet sein Fernsehgerät ein, um Werbung zu sehen. Werbung wird
nur erzwungenermaßen in Kauf genommen. " (Heller 1984, S. 232).
[23] So bestand historisch gesehen zwischen
dem Aufkommen von Zeitungen und der Existenz von Werbung ein enger
Zusammenhang. Luhmann nennt hier als ein Beispiel das Aufkommen der
amerikanischen Zeitungswesens: "Das amerikanische Zeitungswesen hatte im 19.
Jahrhundert seine Unabhängigkeit zunächst über Anzeigen
gesichert und dann Nachrichten und Unterhaltung hinzuerfunden." (Luhmann 1995,
S. 117). Vgl. dazu auch einige aufschlußreiche Übersichten in
Pürer/Raabe 1996. Ähnlich läßt sich in neuerer Zeit
für die Werbefinanzierung als finanzielle Grundlage erfolgreicher, den
Bereichen Nachrichten/Unterhaltung zugeordneter Internetangebote sagen. (Vgl.
dazu bspw. G+J EMS/Forsa 1997, aber auch Rilling 1998 und Montani 1996).
[24] Für die letzten drei Nennungen vgl.
die Abbildungen im Anhang A2.
[25] Eventuelle auch Sportveranstaltungen und
Konzerte - was zu noch seltsamer anmutenden Konsequenzen führt.
[26] Vgl. zur Erläuterung, warum das so
ist, die Argumentation bei Luhmann 1996, S. 126 f. Er wendet sich dort explizit
gegen eine operative Schließung etwa des Nachrichtenbereichs (wie es etwa
Marcinkowski 1993 vorschlägt), da das zur Folge hätte, daß die
anderen Programmbereiche anderen Funktionssystemen zugeordnet werden
würden. Insbesondere stellt sich die Frage, wie "Unterhaltung" als
eigenständiges System oder als Teil eines anderen Systems ohne Bezug auf
die gemeinsamen technisch-medialen und konzeptionellen Grundlage der
Massenmedien vorstellbar wäre.